Die Schwebebahn – so erhaben sie ist, dennoch ist sie an ihre Schienen gefesselt, auf ewig dazu gezwungen, im Kreis zu fahren. Ein Zebrastreifen träumt, eines Tages ein Klavier zu sein und für seine Geliebte zu spielen. Und ein Kirchenraum, gefüllt mit Stille, erinnert sich an eine Zeit, bevor die Bänke leer gebetet wurden. Es sind Worte, die Bilder malen, und Bilder, die die Worte untermalen, die der in Wuppertal geborene Autor Matthias Buth und der Wuppertaler Fotograf Wolf Birke gemeinsam komponiert und in dem Werk „im Augenblick“ zusammengetragen haben. Es sind Emotionen, die mit Worten und Bildern auf Reisen gehen.
„Gedichteschreiben ist auch eine Weltspiegelung, aber so in einer Weise, dass sich der andere mitgenommen fühlt“, sagt Matthias Buth. Seine Worte spiegeln dabei nicht nur seine Gedankenwelt wider, sondern auch das, was auf anderen Ebenen geschieht – in Politik und Gesellschaft, in der Vergangenheit und der Gegenwart. Die Schwarz-Weiß-Fotografien scheinen selbst Geschichten zu erzählen, während sie die neben sich stehenden Texte unterstützen und ihnen noch tiefere Ebenen der Emotionalität geben.
Einer von Buths Texten in „im Augenblick“ ist „in Russland“ betitelt – und bezieht sich auf Alexei Nawalny, den verstorbenen russischen Oppositionellen. Wolf Birkes Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt den damals Angeklagten bei einem Gerichtsprozess, projiziert auf einen Monitor. „Ihr letztes Wort. Manchmal sind es Gedichte, gefährlicher als Tschernobyl,“ heißen die letzten beiden Zeilen im Text. Die Macht der Worte. „Das fürchten die Diktatoren am allermeisten“, sagt Buth dazu. „Das freie Wort, die Wahrheit auszusprechen.“
Eine besondere Komponente in Buths schriftstellerischem Handeln: Er ist von Haus aus Jurist, hat 1985 an der Universität Köln in Rechtswissenschaften promoviert. Ein Dichter und Jurist: Der Begriff „Dichterjurist“ ist eine etablierte Bezeichnung, gibt es doch viele Juristen, die ihren Gedanken und Emotionen in der Lyrik und in Prosa-Texten Ausdruck verliehen haben. Zu dieser Gruppe gehören etwa Kurt Tucholsky oder E.T.A. Hoffmann. Scheinen Dichtung und Jura zunächst weit entfernt, werden die Gemeinsamkeiten schnell deutlich. „Ich denke, aus beiderlei Professionen gewinnt die Sprache, und die Sprache ist eben, so wie ich sie wahrnehme, ein geschliffener Stein oder ein zu schleifender Stein“, betont er. „Präzise sein, das ist das, was man sich als Autor vornimmt oder zumindest, was ich mir besonders vornehme.“
Die Inspirationen zu seinen Texten sind in den Nachrichten und den Geschichtsbüchern zu finden, doch eines ist ihm dabei besonders wichtig: Bei seinen Texten handelt es sich nicht um Aufarbeitung. „Man kann nichts aufarbeiten. Man kann sich nur schüttern lassen durch Sachverhalte, die sich einem in die Seele brennen“, sagt er. Vielmehr versetzt er sich selbst in die Lage der Protagonisten, ist für einen Moment ein Besucher in ihren Leben und Schicksalen. Momente die dann auf dem Papier unsterblich werden.
Er stellt seine Befunde, seine Ergebnisse heraus. „Ich weiß vorher auch nicht, wie ich einen Text schreibe, sondern ich lasse mich mitnehmen. Es ist mein Geländer und manchmal entwickeln sich die Verse in anderer Weise oder man verwirft sie ganz. Für mich ist die sinnliche Wahrnehmung meiner Umwelt besonders wichtig“, sagt er.