Analyse: Aus für Acta - das Internet macht Politik
Berlin (dpa) - Acta ist abgehakt. Das internationale Abkommen zur Verfolgung von Urheberrechtsverstößen wird als Exempel in die Geschichte eingehen, wie Politik in der Internet-Ära nicht mehr funktioniert.
Die Öffentlichkeit im Netz hat gezeigt, dass sie Politik bewegen kann.
Aber die Gesellschaft ist mit dem Scheitern von Acta am Mittwoch im Europaparlament keinen Schritt weitergekommen. Es fehlt weiter eine Lösung, wie das Urheberrecht im Internet funktionieren soll.
„Die Menschen sind nicht mehr bereit, dass wesentliche politische Fragen, die ihr Leben betreffen, in undemokratischen Verfahren an ihnen vorbei verhandelt werden“, sagt der netzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Konstantin von Notz zum Scheitern von Acta. Der CDU-Abgeordnete Thomas Jarzombek stimmt zu: „Das wird so zukünftig nicht mehr gehen.“ Die Debatte über Acta habe mehr Licht in die geheim geführten Verhandlungen gebracht. „Das tut der Demokratie auch gut.“
Dabei hat vor einem halben Jahr kaum jemand etwas mit dem „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“ anfangen können. Die breite Politik und die Medien hatten das Thema lange nicht auf ihrer Tagesordnung. Dann aber wurden die Stimmen der Netzaktivisten immer lauter, die so lange von Acta und den Risiken dieses Abkommens geredet haben, dass sich dies nicht mehr ignorieren ließ.
Die zuständige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erklärte am 31. Januar in Hamburg, dass sie die Bedenken nicht teile. Am 10. Februar aber entschied das Ministerium, das Abkommen zunächst nicht zu unterzeichnen. Am 11. Februar gingen dann zehntausende in vielen deutschen Städten gegen Acta auf die Straße.
„Die Bundesregierung ist kalt erwischt worden“, sagt der Politikwissenschaftler und Experte für Protestbewegungen, Peter Grottian. Auf einmal habe es „ein fast panisches Verständnis“ für die Protestbewegung gegen Acta gegeben. „Das ist fast eine tölpelhafte Reaktion gewesen“, meint der Professor am Berliner Otto-Suhr-Institut im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.
Allerdings ist es aus Sicht des Politikwissenschaftlers Grottian keineswegs so, dass die Mobilisierung der Netzöffentlichkeit bereits eine Garantie für den Erfolg sozialer Bewegungen ist. Je nach Politikbereich falle die Aktivierung über das Internet ganz unterschiedlich aus. Und bei sozialpolitischen Themen wie der Kürzung der Hartz-IV-Sätze habe sich gezeigt: „Da können Sie das Internet anwerfen, wie Sie wollen, da passiert einfach nichts.“
Die Befürworter von Acta sehen daher auch noch andere Gründe für das Scheitern des Vertrags. „Die gesamte Situation rund um Acta war stark geprägt von Spannungen innerhalb der EU zwischen Ministerrat, Kommission und Parlament“, sagt der Geschäftsführer des Bundesverbands Musikindustrie (BVMI), Florian Drücke. Das Parlament habe jetzt eine große Chance verpasst, weil es die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht abgewartet habe. Das Abstimmungsergebnis in Straßburg sei „ein Signal, das in die falsche Richtung geht“.
Künstler und die Verbände der Produktionsfirmen hoffen nun, dass die Diskussion über das Urheberrecht im Internet wenigstens in Deutschland zu einem Ergebnis in ihrem Sinne führt. „Die Themen sind auf dem Tisch“, sagt Drücke. „Da muss jetzt gehandelt werden.“
In dieser Legislaturperiode wird aber wohl nichts mehr entschieden. Man könne nun nicht einfach eine Gesetzesnovelle vorlegen und erwarten, dass diese gleich verabschiedet werde, sagt CDU-Abgeordneter Jarzombek. Zunächst müsse die breite gesellschaftliche Diskussion in Richtung konkreter Vorschläge weitergeführt werden.
Ungeduldiger fordert der Grünen-Politiker von Notz: „Der Bundestag und vor allem die Bundesregierung müssen sich endlich den Fragen stellen, die sich mit der Digitalisierung und dem Internet für das Urheberrecht gestellt haben.“ Niemand wolle das Urheberrecht abschaffen. Die Bundesregierung habe es in drei Jahren versäumt, tätig zu werden, und in absehbarer Zeit werde weiter nichts passieren. „Das ist politisch ein sehr unbefriedigender Zustand: Die Kreativen sind nicht zufrieden, die Verwerter sind nicht zufrieden, und die Menschen in Deutschland werden jedes Jahr mit hunderttausenden Abmahnungen überzogen.“
Die Netzaktivisten aber haben den Erfolg ihrer Kampagne am Mittwoch begeistert gefeiert. „Es ist eine europäische Öffentlichkeit für digitale Grundrechte entstanden, die zu einem Machtfaktor in Brüssel und Straßburg geworden ist“, sagte Markus Beckedahl, der als Vorsitzender des Vereins Digitale Gesellschaft die Proteste mit organisiert hat. „Das ist unser Vorteil: Wir kennen das Netz und können es auch nutzen, um uns über Grenzen hinweg in Echtzeit zu vernetzen.“ Nur ein Problem gab es beim Feiern, wie der stellvertretende Vorsitzende der Piratenpartei in Hessen, Kai Möller, twitterte: „Wie machen wir das eigentlich mit dem Auto-Korso im Internet?“