Analyse: „Crysis 2“ wird zum Politikum
Berlin (dpa) - „Furchterregende Kreaturen beherrschen die Straßenschluchten von Manhattan. Alle Systeme, Elektrizität und Kommunikation, versinken im wilden Chaos.“ So beginnt das Computerspiel „Crysis 2“, das am Donnerstagabend den Deutschen Computerspielpreis bekommen hat.
Einen Quest, also eine Spielmission, ganz eigener Art haben CDU und CSU im Bundestag gestartet: Sie kritisierten das Spiel und die Jury der Computerspielpreise - obwohl sie dort selbst vertreten sind.
„Sogenannte Killerspiele dürfen nicht honoriert werden, auch wenn sie technisch noch so ausgereift sind“, erklärte der kultur- und medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Börnsen, im Namen der Unionsfraktion. Der Politiker brachte auch eine Neubesetzung der Jury für die Vergabe der Computerspielpreise ins Gespräch. Er warf dem Gremium vor, den kulturell-pädagogischen Gehalt aus Artikel 1 des Grundgesetzes - „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ - zu ignorieren. Grundlage für die Preisvergabe sei ein Bundestagsbeschluss von 2007, wonach inhaltliche Kriterien höher bewertet werden müssten als die technische Qualität einer Spielsoftware. Bei der Entscheidung für „Crysis 2“ habe der rein technisch-innovative Aspekt im Vordergrund gestanden.
Die Jury hingegen lobte in ihrer Entscheidung: „Das Spiel besticht durch hohen Spielspaß, eine innovative Spielmechanik und eine herausragende Grafik.“ Der erstmals 2009 vergebene Preis wird von mehreren Branchenverbänden und Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) getragen; der Hauptpreis ist mit 50 000 Euro dotiert.
Neumann unterstützte die Kritiker. Man müsse darüber nachdenken, ob weiterhin Spiele ohne Jugendfreigabe ausgezeichnet werden könnten. „Ein Spiel, das aufgrund von Gewaltdarstellungen nicht für Jugendliche geeignet und deshalb nur für Erwachsene zugelassen ist, kann schwerlich 'kulturell und pädagogisch wertvoll' sein“, betonte der Kulturstaatsminister. Dies sei aber 2007 die Zielsetzung des Bundestags gewesen. Mit den Abgeordneten des Kulturausschusses habe er vereinbart, dass über die Vergabekriterien erneut diskutiert und entschieden werde.
Der Spieleanbieter Electronics Arts, der „Crysis 2“ vertreibt, wies Börnsens Kritik zurück. Beim Computerspielpreis gelte es, unterschiedliche Aspekte zu berücksichtigen - neben dem pädagogischen Wert auch die Unterhaltung, erklärte Sprecher Martin Lorber der Nachrichtenagentur dpa. „Genau wie bei Buch, Film oder anderen Medien setzen Spiele-Entwickler unterschiedliche Stilmittel ein, um bei den Spielern eine Emotion zu erzeugen.“ Das könnten auch Gewalt und Aggression sein. Beim Branchenverband BIU hieß es, die unabhängige Jury werde durch die Kritik aus der Union beschädigt.
Kritische Stimmen gab es aber auch aus dem Bundestag: Der Vorsitzende des Unterausschusses Neue Medien, Sebastian Blumenthal (FDP), meinte: „Es ist nicht hilfreich, wenn die Politik in diesem Zusammenhang in eine undifferenzierte Killerspiel-Rhetorik verfällt - da waren wir schon mal weiter.“
In der SPD-Bundestagsfraktion erklärte der Sprecher der Arbeitsgruppe Kultur und Medien, Siegmund Ehrmann, allein die Verwendung des Begriffs „Killerspiel“ wecke Zweifel, ob die Union ein Interesse an einer sachlichen und differenzierten Debatte habe. Die unabhängige Jury, der auch Vertreter der Unionsfraktion angehörten, habe ihre Entscheidung mit Zweidrittelmehrheit getroffen und dürfe nicht diskreditiert werden.
Für die Grünen erklärten Malte Spitz und Tabea Rößner als Sprecher für Netz- und Medienpolitik: „Computerspiele sind grundsätzlich ein kulturelles Gut, damit genießen sie sowohl Kunstfreiheit wie auch die Freiheit, nicht gefallen zu müssen.“ Sie warfen Börnsen vor, in „alte Schützengräben“ zurückzufallen.
Zurechtgewiesen wurde Börnsen auch aus den eigenen Reihen. Der kürzlich von mehreren Unionsabgeordneten gegründete Verein Cnetz hielt dem Kollegen entgegen, er habe sich offenbar gar nicht selbst mit dem Spiel beschäftigt. Allein seine Sprachwahl zeige „von einer groben Unkenntnis in der Sache“. Der Verein für Netzpolitik verglich „Crysis 2“ mit dem Film „Inglourious Basterds“ - dort gebe es mehr gewaltverherrlichenden Szenen als in „Crysis 2“, und der Film sei im Unterschied zu dem Computerspiel mit öffentlichen Mitteln gefördert worden. „Menschen aus allen Gesellschaftsschichten spielen mit Leidenschaft Spiele wie Crysis 2“, hieß es in der Cnetz-Erklärung. „Computerspiele sind längst ein weit verbreitetes und anerkanntes Kulturgut.“