Analyse: Die Stunde der europäischen Startups
München (dpa) - Google, Facebook, Twitter: In der Internet-Branche sind Firmen aus dem Silicon Valley traditionell das Maß der Dinge. Doch inzwischen ist unübersehbar: Startups aus Europa gewinnen an Selbstbewusstsein - und Marktanteile.
Noch sind die Erfolgsgeschichten meist auf einzelne Bereiche konzentriert, etwa Smartphone-Spiele. So landete die finnische Firma Supercell einen Hit mit ihrem „Clash of Clans“, ebenso wie King Digital mit „Candy Crush“. King wird vor allem nach dem Börsengang in New York oft als US-Firma wahrgenommen, hat aber ihren Sitz in London, gegründet von einem Italiener - europäischer geht also kaum.
„Wir sehen mehr und mehr solcher Erfolgsstorys“, sagt der Mitgründer des Risikokapitalgebers Index Ventures, Giuseppe Zocco. Er hat den Überblick: Index investiert seit rund 20 Jahren in Europa. „Es kommen immer mehr Elemente für ein erfolgreiches Startup-Ökosystem zusammen“, sagt er - Serien-Unternehmer, Kapital, Programmierer, spezialisierte Anwälte. „Seit einem Jahr haben wir den Eindruck, dass sich im europäischen Startup-Geschäft eine kritische Masse zusammenkommt.“
Auch der Chef der Berliner Startup-Schmiede Rocket Internet, Oliver Samwer, sieht ein verändertes Klima in Europa. „Die wichtigste Erfahrung des Börsengangs war: Es ist machbar“, sagte der 38-Jährige am Montag auf der Internet-Konferenz DLD in München. Die Ängste im Vorfeld hätten sich als unbegründet. Er hoffe, dass dies anderen Unternehmen Mut mache. „Wir haben jetzt auch für unsere eigenen Startups ein konkretes Beispiel, statt nur luftiger Träume.“
Und aus Samwers Sicht sind die Branchengiganten wie Google inzwischen selbst eher behäbige Tanker. „Das ist etwas für Leute, die Cafeterias mögen“, sagte Samwer. Dabei ist es die scheinbare Sicherheit eines großen, börsennotierten Unternehmens, die viele junge Leute lockt. Es sei inzwischen viel einfacher geworden, junge Talente zu finden. „Wir haben 8000 Bewerbungen im Monat.“ Nachwuchssorge plagen den als eher aggressiv geltenden Manager nicht. Es gebe viel Gründergeist.
Zugleich ist die europäische Startup-Szene anders als das Silicon Valley. „Im Valley herrscht eine unglaubliche Dichte auf engem Raum. Das ist sehr schwer, nachzuahmen“, sagt Zocco. In Europa haben sich stattdessen mehrere Startup-Hubs herauskristallisiert: London, Stockholm, Berlin, Paris.
Diese Vielfalt werde sich auf lange Sicht als Wettbewerbsvorteil erweisen, wenn die Sprachbarrieren dank technologischer Entwicklungen wie Echtzeit-Übersetzer in den Hintergrund gedrängt werden, glaubt man unter anderem in der Brüsseler EU-Kommission. Samwer sieht jetzt schon kein Problem damit: „Die Sache mit den verschienen Kulturen in einzelnen Ländern wird überbewertet: E-Commerce funktioniert überall.“
Die Kapitalströme zeigen, dass auch die Internet-Investoren aus dem Silicon Valley Europa entdeckt haben, etwa Sequoia oder Google Ventures. Die Analysefirma StrategyEye errechnete, dass im vergangenen Jahr mehr als drei Milliarden Dollar in die europäische Startup-Wirtschaft flossen.
„Vor ein paar Jahren konnte man Unternehmer aus Europa einfach in eine Schublade tun: Zufrieden mit einem Verkauf für 100 Millionen Dollar, unter Kontrolle der Investoren“, sagt der amerikanische Serien-Gründer Max Levchin. „Wenn man heute mit Leuten wie Spotify-Gründer Daniel Ek spricht, merkt man keinen Unterschied zum Silicon Valley.“ Der Streaming-Musikdienst Spotify aus Stockholm ist eines der europäischen Unternehmen, die in globalem Maßstab die Märkte verändern können.
„Es stimmt heute noch, dass man nach dem Erfolg in Europa schnell in die USA gehen muss, um den Markt zu besetzen“, sagt Zocco. „Inzwischen erkennen aber auch US-Unternehmen, dass sie schnell nach Europa kommen müssen, weil dort sonst jemand schnell den Markt mit dem Geschäftsmodell besetzen könnte.“ Dabei sieht er grundsätzlich kein Problem damit, wenn Geschäftsideen nachgebaut werden: „Wenn es nicht illegal ist, ist es okay.“ Zugleich werde ein Nachahmer aber nie soweit kommen, wie jemand mit einer inspirierenden eigenen Idee.
Samwer, der sich aus dem Silicon Valley oft den Vorwurf anhören muss, nur Geschäftsideen aus Amerika zu kopieren, äußerte sich in München nicht dazu. Die amerikanischen Internet-Unternehmer der ersten Stunde, die sich keine Gedanken mehr um Geld mehr machen müssen, legen die Planke inzwischen höher. „Wenn Sie etwas aufbauen, was in vier Jahren verkauft wird, sind sie kein Unternehmer, sondern suchen nur nach einem Exit“, sagt Levchin, der schon bei der Gründung des Bezahldienstes Paypal 1998 dabei war. „Exits“ werde in dem Geschäft die Börsengänge oder Verkäufe genannt, bei denen das Gründer-Team und frühe Investoren Kasse machen. Stattdessen müsse es darum gehen, bleibende Werte zu schaffen, Unternehmen für Jahrhunderte, sagt Levchin, der einst mit dem Verkauf von Paypal an Ebay reich wurde.