Analyse: Frühjahrsputz bei Google
Mountain View/Berlin (dpa) - Damit die unzähligen Projekte bei Google nicht zu Chaos führen, räumt der Internet-Konzern gelegentlich auf. Diesmal ist die „Operation Spring Clean“ von Google-Chef Larry Page besonders radikal ausgefallen und umfasst auch eine wichtige Personalie.
Die Erfolgsgeschichte von Google ist legendär. Das Team der Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin hat aber nicht nur Top-Dienste wie die Google-Suche oder die mächtige Werbeplattform auf den Markt gebracht, sondern auch etliche veritable Flops.
Auf dem Friedhof der gescheiterten Google-Projekte wird in diesem Sommer ein neuer Grabstein aufgestellt: Google Reader. Über diesen Dienst konnten sich Google-Anwender bislang Übersichten aus Nachrichtenangeboten, Blog-Beiträgen und anderen Quellen im Netz zusammenstellen. Wie bei einem Abonnement bekamen sie automatisch die neuesten Einträge zu sehen. Doch zuletzt liefen Soziale Netzwerke dem Reader als Nachrichtenquelle den Rang ab. Google selbst versucht, mit Google Plus ein eigenes Netzwerk zu etablieren. Das Unternehmen verwies kühl darauf, die Nutzungszahlen des Readers seien zurückgegangen. Am 1. Juli zieht Google deshalb den Stecker.
In der Firmenkultur von Google wird die Einstellung eines mäßig erfolgreichen Produktes nicht als Scheitern betrachtet. Auf der langen Liste der beendeten Dienste und Projekte stehen unter anderen der Gesundheits-Service Google Health, der Kommunikationsdienst Google Wave oder der Surf-Beschleunigungsdienst Google Gears.
Diesmal betrifft die Frühjahrsputz-Aktion allerdings nicht nur ein wenig bekanntes Nischenprodukt, sondern einen etablierten Dienst. Google Reader war gerade für viele Netzprofis ein quasi unverzichtbares Werkzeug. Doch Google-Chef Larry Page wird sich auch von Online-Petitionen und Appellen auf Twitter unter dem Motto #SaveGoogleReader kaum beeindrucken lassen. Er will, dass sein Team die Energie in weniger Produkte steckt, um diese dann umso erfolgreicher zu machen.
Bei der „Operation Spring Clean“ wurden aber nicht nur überholte Dienste aussortiert. Page nutzte die Gelegenheit, um die Verantwortung für zwei wichtige Projekte in einer Hand zu bündeln. Google-Manager Sundar Pichai ist künftig sowohl für das Mobil-Betriebssystem Android, das auf vielen Smartphones läuft, als auch für das PC-System Chrome zuständig, das bisher nur mäßig erfolgreich ist. Pichai leitete bereits die Entwicklung des Chrome-Browsers und des gleichnamigen Betriebssystem. Er ersetzt den bisherigen Android-Chef Andy Rubin.
Zudem wird der bisher für Kartendienste und Einkaufslösungen zuständige Manager Jeff Huber laut Medienberichten zum Innovationslabor Google X wechseln. Die Kartendienste würden dem Suchteam zugeschlagen und der Commerce-Bereich gehe in der Werbeeinheit auf, schrieb das „Wall Street Journal“.
Pichai, ein Absolvent des berühmten Indian Institute of Technology Kharagpur im indischen Bundesstaat West Bengal, war im Jahr 2004 zu Google gekommen und dann schnell in die Führungsriege aufgestiegen. Ein Jahr darauf landete sein späterer Widersacher Rubin nahezu beiläufig bei dem Internet-Konzern. Der langjährige Google-Chef Eric Schmidt erzählte einmal, dass die beiden Gründer Lary Page und Sergey Brin die Firma Android samt Firmenchef Rubin an ihm vorbei für rund 50 Millionen Dollar gekauft hätten. Das hätten sie ihm erst später in einem Nebensatz erzählt. Seitdem hat sich Android zum weltweit erfolgreichsten Mobilsystem gemausert. Über 750 Millionen Android-Smartphones und -Tablets wurden nach Angaben von Google im Laufe der Jahre aktiviert.
Der Erfolg von Android überstrahlte zunächst die internen Konflikte über eine einheitliche Betriebssystems-Strategie. Doch viele Beobachter fragten sich wiederholt, warum der Internet-Konzern mit Android und Chrome zwei unterschiedliche Systeme mit ähnlichen Aufgaben pflegt.
Vor gerade einmal zwei Wochen ließ sich Andy Rubin beim Mobile World Congress in Barcelona noch nicht anmerken, dass seine Zeit als Android-Oberbefehlshaber bald ablaufen könnte. Nur als er auf das Zusammenspiel mit der Chrome-Sparte von Pichai angesprochen wurde, wirkte er für einen Moment verstimmt - als hätte die Frage einen wunden Punkt getroffen. Es sei keineswegs so, dass die Plattformen in Zukunft nicht näher aneinanderrücken könnten, hakte er ab. Unbeantwortet blieb die Frage, warum dies nicht schon längst geschehen sei.
Was Rubin nun vorhat, bleibt unklar. Zum einen gibt es Spekulationen, er habe von den Management-Aufgaben rund um Android die Nase voll und wolle künftig wieder stärker als Tüftler arbeiten. Er wolle beispielsweise die Entwicklung der Datenbrille Google Glass, von Robotern oder Systemen für die Vernetzung im Haushalt vorantreiben. Es gibt aber auch seriöse Hinweise darauf, dass Rubin seine berufliche Zukunft nicht mehr auf dem Googleplex genannten Firmencampus im kalifornischen Mountain View sieht.