Analyse: Verlage lassen Artikel komplett bei Facebook erscheinen
Menlo Park/Berlin (dpa) - Facebook-Anwender sollen künftig Nachrichten und Multimedia-Reportagen noch schneller in der Smartphone-App des Online-Netzwerks finden - und noch weniger Anlass haben, ins offene Web zu wechseln.
Facebook kündigte dazu eine Kooperation mit einer Reihe internationaler Medienhäuser an. Mit an Bord sind aus Deutschland „Bild.de“ und „Spiegel Online“. In den USA sind die „New York Times“, „The Atlantic“, „National Geographic“ und das Portal „Buzzfeed.com“ dabei, in Großbritannien beteiligen sich BBC News und die Zeitung „Guardian“ an dem Projekt „Instant Articles“.
Die multimedialen Geschichten werden dabei auf der Smartphone-App von Facebook direkt im News-Feed der Anwender veröffentlicht. Sie müssen nicht wie bisher über einen Link von der Medien-Website geladen werden, sondern liegen bei Facebook selbst.
Den Anfang machen die US-Verlage, zunächst nur in der iPhone-App von Facebook. Die anderen Plattformen wie Android und Windows sollen später dazukommen. Es wird auch noch etwas dauern, bis die Inhalte aus Deutschland in der App zu sehen sind.
Für die Medienhäuser ist vor allem die Zielgruppe bedeutend, die Facebook in seinen Apps versammelt: „Fast 30 Millionen Menschen in Deutschland erleben ihren digitalen Alltag auf Facebook“, sagt Julian Reichelt, Chefredakteur von „Bild.de“.
„Deswegen sind wir gespannt, „Instant Articles“ auszuprobieren und gemeinsam mit Facebook Lösungen zu entwickeln, die unsere einzigartigen Inhalte auf dieser Plattform noch schneller, leichter, reibungsloser und aufregender erlebbar machen.“ Ähnlich klingt die Begründung beim „Spiegel“: „Wir sind gerne schon in dieser frühen Phase von „Instant Articles“ als Partner mit dabei, um möglichst viel experimentieren und gemeinsam lernen zu können“, sagt die Geschäftsführerin von „Spiegel Online“, Katharina Borchert.
Interessant ist das Projekt für die Verlage aber auch, weil Facebook ihnen einen großen Spielraum einräumt: „Wichtig ist dabei, dass wir zum ersten Mal nicht nur die Auswahl der Inhalte, sondern auch deren Vermarktung selbst in der Hand haben“, erläutert Borchert.
Konkret heißt das: Facebook kümmert sich nicht darum, welche Texte, Bilder oder Videos veröffentlicht werden. Gleichzeitig bietet das Netzwerk den Publishern eine wirtschaftliche Perspektive: Wenn die Verlage einen Werbe-Partner selbst besorgt haben, können sie auch die Erlöse komplett behalten. Kommt die Werbung aus dem Facebook-Netzwerk, werden 70 Prozent der Erlöse ausgeschüttet.
Die Verlage haben dabei auch Zugriff auf Nutzerdaten, können also sehen, welche Artikel besonders populär sind und welche Inhalte auf weniger Resonanz stoßen. Man werde sich dabei an alle geltenden Datenschutzbestimmungen halten, betonen die Beteiligten.
Auf „Instant Articles“ sollen auch Finanzierungsformen erprobt werden können, die nichts mit Werbung zu tun haben, etwa bezahlpflichtige Abos. Das war dem Springer-Verlag wichtig, der mit Bezahlschranken im Web experimentiert. Er nimmt dafür auch das Stirnrunzeln von Kritikern in Kauf, die meinen, dass die Verlage sich damit noch stärker in die Abhängigkeit von US-Internetkonzernen begeben würden.
Von dem Projekt sollen aber nicht nur die Verlage, sondern auch die Anwender profitieren. Wenn die User derzeit in der Facebook-App auf einen Medien-Link in der mobilen App klicken, dauere es oft bis zu acht Sekunden, bis die Inhalte auf dem Smartphone erscheinen, sagte der zuständige Produkt-Manager bei Facebook, Michael Reckhow. Der Aufbau der Inhalte gehe nun zehn Mal so schnell vonstatten. Außerdem gewährleistete Facebook, dass Fotos in hoher Auflösung sowie Texte und Videos optimal auf der Mobil-Plattform zur Geltung kämen.
Befürchtungen, die Kooperation könne zu einem journalistischen Schmusekurs von „Bild“ und „Spiegel“ gegenüber Facebook führen, treten die Verantwortlichen unisono entgegen. „Selbstverständlich ist und bleibt unsere journalistische Berichterstattung komplett unabhängig, auch die Berichterstattung über Facebook“, sagt der Chefredakteur von „Spiegel Online“, Florian Harms. Bei „Bild“ klingt das ähnlich.
US-Professor Jeff Jarvis sieht in dem Projekt eine Chance, die sich die Verleger nicht entgehen lassen sollten. „Das ist eine gute Nachricht für Nachrichten.“ Facebook habe damit deutlich gemacht, dass Nachrichten für das Unternehmen eine Bedeutung hätten. Und Google habe mit der kürzlich angekündigten Digital-Initiative für Publisher in Deutschland deutlich gemacht, dass es gemeinsam mit den Verlagen zukunftsträchtige Produkte entwickeln wolle. Während „Spiegel Online“ auch bei dem Google-Projekt mitspielt, hat der Springer-Verlag allerdings diese Charme-Offensive zurückgewiesen. Im Streit um die Umsetzung des Leistungsschutzrechtes für Presseverlage in Deutschland klafft noch ein tiefer Graben zwischen Springer und Google.