Analyse: Wikileaks kann Datenleck nicht mehr stopfen
Berlin (dpa) - Mit der Veröffentlichung von geheimen Botschaftsdokumenten aus dem US-Außenministerium wollte die Enthüllungsplattform Wikileaks die Machenschaften einer Großmacht anprangern.
Dabei war Wikileaks-Gründer Julian Assange bewusst, das etliche Depeschen die Namen von Informanten der US-Diplomaten offenlegen, die bei einer Veröffentlichung um ihre Sicherheit und Freiheit fürchten müssten. Nach einer Serie von Pannen ist nun genau dieses Schreckensszenario eingetreten, weil im Netz Kopien der Daten kursierten, die nicht geschwärzt waren. In der Nacht zum Freitag ging Assange in die Offensive und veröffentlichte den unzensierten Datensatz selbst.
Damit haben sich auch die aufwändigen Bemühungen der Medienpartner von Wikileaks erledigt, die sorgfältig darauf geachtet hatten, die Namen von Informanten aus Ländern wie Irak, Iran, China und Afghanistan unleserlich zu machen. Über das Online-Protokoll BitTorrent verteilten Assange und seine Helfer die 1,6 Gigabyte große Datei mit dem Namen „z.gpg-decrypted.7z“. In der Datei befinden sich alle 251 287 internen Berichte und Lagebeurteilungen der US-Botschaften an das US-Außenministerium.
Der mutmaßliche Informant von Wikileaks, der US-Soldat Bradley Manning, sitzt ohnehin schon in Haft. Der „Whistleblower“ hatte sich Adrian Lamo, einem Informanten der US-Sicherheitsbehörden, in einem Chat anvertraut. Manning wurde im Mai 2010 festgenommen und wartet seitdem auf sein Verfahren.
Für das Auffliegen seines mutmaßlichen Informanten in den US-Streitkräften konnte Wikileaks kaum zur Verantwortung gezogen werden, weil dieser wohl selbst zu gesprächig war. Das katastrophale Leck, das zur Bloßstellung der Informanten der US-Diplomaten in aller Welt führte, könnte nun aber das Vertrauen von potentiellen „Whistleblowern“ in die Enthüllungsplattform Wikileaks nachhaltig beschädigen.
Assange versucht mit der Veröffentlichung der kompletten Daten sich diesem Eindruck entgegenzustemmen. Er möchte wieder vom Getriebenen zum Antreiber zu werden. Über den Kurznachrichtendienst Twitter forderte er die Wikileaks-Sympathisanten auf, in einer gemeinsamen Anstrengung („Crowdsourcing“) die Depeschen aufzuarbeiten und der breiten Öffentlichkeit zu präsentieren.
Es dürfte auch ein Rolle spielen, dass die Zusammenarbeit von Wikileaks und den sorgfältig ausgesuchten Medienpartnern nicht so verlief, wie Assange sich das vorgestellt hatte. Der Australier zeigte sich zuletzt enttäuscht, da nach der ersten großen Welle, die durch „Cablegate“ ausgelöst wurde, die weiteren Veröffentlichung von neuen US-Depeschen kaum noch Schlagzeilen machten. Außerdem erschienen auch bei den Medienpartnern von Wikileaks Berichte über die Vergewaltigungsvorwürfe in Schweden, die Assange nicht gefielen.
Medien wie die „New York Times“, der „Guardian“ oder „Der Spiegel“ sind aber auf die Kooperation mit Wikileaks und dem in Großbritannien festgesetzten Wikileaks-Gründer Julian Assange nicht mehr angewiesen. Zum einen hat Wikileaks-Aussteiger Daniel Domscheit-Berg mit Openleaks eine eigene Whistleblower-Plattform gestartet. Der deutsche Netzaktivist dürfte aber aus der „Cablegate“-Affäre ebenfalle nicht unbeschadet hervorgehen. Neben Openleaks dürfte auch andere, neue Enthüllungsplattformen die Chance eröffnen, die Rolle von Wikileaks zu übernehmen.