Der nächste Zukunftstrend: Strom in der Jacke
München (dpa) - Ohne Steckdose ist der moderne Mensch völlig hilflos - denn ohne Strom funktioniert das schönste Smartphone nicht. Abhilfe naht: Wissenschaft und Unternehmen arbeiten an einer Synthese von High-Tech und Textil.
Die mobile Stromversorgung in der Jacke naht.
Jeder mobile Arbeitnehmer in Deutschland kennt das Problem: Akku leer, nichts geht mehr. Die traurigen Konsequenzen: Der Kontakt zur Außenwelt bricht ab, der Chef tobt, die Kunden sind verärgert. Für den modernen Büromenschen auf Reisen ist eine produktive Tätigkeit ohne Handy und Laptop ausgeschlossen. Die gute Nachricht: Derart unerfreuliche Krisen des Arbeitslebens könnten in einigen Jahren der Vergangenheit angehören. Allmählich hält die Hochtechnologie auch in der Bekleidungsbranche Einzug. Wissenschaftler und Unternehmen experimentieren mit den Einsatzmöglichkeiten von High-Tech in Textilien. Ein vielversprechender Trend: Eingebaute Solarzellen in Mänteln, Jacken und Rucksäcken.
Die bislang üblichen Silizium-Solarzellen haben allerdings für Textilien einen entscheidenden Nachteil: Sie sind nicht faltbar. Abhilfe bringen könnte eine Neuentwicklung, die maßgeblich vom Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) vorangetrieben wird: biegsame organische Solarzellen, die auf dünnen Folien angebracht sind. Interesse daran hat unter anderem der Münchner Traditionshersteller Lodenfrey.
„Das ist eine Sache, die finde ich sehr spannend“, sagt Klaus Faust, der Chef von Lodenfrey Menswear. „Sie spazieren durch die Sonne und anschließend ist ihr Handy aufgeladen.“ Die Solarjacke hat es allerdings noch nicht zur Marktreife geschafft. Denn Wissenschaftler und Unternehmen müssen bei Solar-Textilien allerlei technische Herausforderungen bewältigen - unter anderem das Problem der Waschmaschine. Bislang sind Solarzellen nicht für den Vollwaschgang bei 60 Grad ausgelegt.
Eigentlich hatten die Freiburger Wissenschaftler bei der Entwicklung der organischen Solarzelle einen anderen Abnehmerkreis im Sinn. „Das ist eine relativ junge Technologie, die langfristig einen Beitrag zur Energieversorgung liefern kann“, sagt Sprecherin Karin Schneider. Die Zukunftsvision: Organische Solarfolien könnten auf Markisen oder Gebäudefassaden geklebt werden und dort Strom produzieren. Doch Interesse hat keineswegs nur die Bauindustrie, sondern eben auch die Bekleidungsbranche. „Von einer Herstellung im großen Stil sind wir noch ein bisschen weg, aber da ist viel im Fluss“, sagt Schneider.
Jacke oder Pullover mit eingebautem Mini-Solarkraftwerk könnten noch andere Funktionen haben: „Denkbar sind zum Beispiel Sicherheitswesten mit eingebauter Beleuchtung“, sagt Lodenfrey-Manager Faust. „Ein Gag für die Disco wäre auch möglich, dann leuchtet die Jacke im Rhythmus der Musik.“ Lodenfrey experimentiert auch mit anderen Neuheiten: In Kooperation mit einem israelischen Erfinder tüftelt die Firma an einer Motorrad-Jacke mit eingebauter Klimaanlage. Eine weitere Option: Jacken und Mäntel mit eingebautem Heizgewebe. „Zum Beispiel eine leichte Jacke mit Kragenheizung für das Cabrio“, sagt Faust. Auch für frierende S-Bahn-Pendler wäre ein beheizter Mantel in den kalten Wintermonaten möglicherweise eine attraktive Option.
Innovation sei auch für die Hersteller von Traditionsbekleidung wichtig, meint Faust. „Nur von der Tradition leben ist gut und schön, aber ein bisserl riskant.“ Von zentraler Bedeutung sei die Vernetzung mit anderen Unternehmen und Wissenschaftlern, meint der Manager. „In der Bekleidung kann man nur zu tollen neuen Innovationen kommen, wenn man die Partner findet“, sagt Faust. Denn ein Bekleidungshersteller ist nun mal kein High-Tech-Unternehmen.
An dieser Stelle kommt die Politik ins Spiel, denn eine wichtige Rolle spielen sowohl der Bund als auch die Landesregierungen, und zwar in zweierlei Hinsicht: Auf der einen Seite gibt es Zuschüsse für Forschungsprojekte, auf der anderen gibt es Programme, um Mittelständler und Wissenschaftler zusammenzubringen. Die organische Solarzelle wird vom Bund gefördert, und Lodenfrey hat für sein Projekt des heizbaren Gewebes auch einen „Innovationsgutschein“ des bayerischen Wirtschaftsministeriums in Anspruch genommen - der Freistaat gibt 7500 Euro Zuschuss, das Unternehmen zahlt noch einmal die selbe Summe. „Es müssen nicht immer die großen Dinge sein, auch die kleinen helfen“, sagt Faust dazu.
Das Wirtschaftsministerium ist auch zufrieden. Seit 2009 wurden 716 Innovationsgutscheine bewilligt - oft für Projekte, die auf den Blick wie ferne Zukunftsmusik wirken „Aus unserer Sicht ist das ein voller Erfolg“, sagt ein Sprecher des Ministeriums. Doch bis zur vollen Marktreife solargetriebener Textilien werden wohl noch einige Jahre vergehen.