Die Stunde der Computer-Uhren auf der IFA
Berlin (dpa) - Auf der IFA standen seit Jahren vor allem immer größere Flachbild-Fernseher im Mittelpunkt. In diesem Jahr drängen kleine Computer-Uhren ins Rampenlicht auf der Elektronik-Messe.
Zahlreiche Hersteller wie Samsung, Huawei, LG, Lenovo oder Asus präsentieren auf der IFA (Publikumstage: 4. bis 9. September) die neusten Modelle ihrer Smartwatches. Auch die gesamte Geräteklasse der sogenannten „Wearables“ - Technik, die man direkt am Körper tragen kann - zählt zu den heißen Trends. Marktbeobachter sagen der Kategorie eine goldene Zukunft voraus.
Der Fokus liegt oft auf Design, Möglichkeiten zur individuellen Anpassung und Hobby-Sportlern als Zielgruppe. Samsung zeigt in Berlin seine neue Uhr Gear S2, bei der sich der Smartphone-Marktführer erstmals für ein rundes Display entschied, das ein Nutzer aus 26 integrierten Vorlagen selbst entwerfen kann. Der Bildschirm aus organischen Leuchtdioden (Amoled) hat einen Durchmesser von 1,2 Zoll (3 cm). Für den Zugang zu Apps wie Kalender und E-Mail oder Online-Netzwerken ließ sich Samsung etwas Besonderes einfallen: Man steuert sie über einen Ring wie bei einer Taucheruhr am Display-Rand an.
Die Lenovo-Tochter Motorola greift auf breiter Front an. Die zweite Generation der Uhr Moto 360 gibt es in zwei Größen für Männer, einer Version speziell für Frauen sowie einer Sport-Variante mit einem eingebauten GPS-Chip. Auch Motorola setzt auf runde Displays - die natürliche Form einer Uhr, wie Marketing-Manager Lally Narwal betont.
Auch der Chiphersteller Intel will Sport-Enthusiasten anlocken. Die Software des Basis Peak genannten Fitness-Trackers stammt von der zugekauften Firma Basis und funktioniert sowohl mit Android-Handys als auch mit Apples iPhones. Der Navigations-Spezialist TomTom will mit einer Uhr ohne Touchscreen, aber mit GPS-Modul und Musikspeicher bei den Workouts dabei sein.
Erste Computer-Uhren kamen bereits vor einigen Jahren auf den Markt. Zu den Pionieren unter den Herstellern zählt unter anderem Sony. Samsung war 2013 in den Markt eingetreten, seitdem brachte das Unternehmen eine Reihe immer schlankerer Modelle heraus. Lange blieben die hohen Erwartungen an die Smartwatches unerfüllt. Richtigen Schwung ins Geschäft brachte erst seit April die Apple Watch. Sie gilt Marktbeobachtern inzwischen als Messlatte. Nach Berechnungen der Analysefirma IDC setzte Apple im zweiten Quartal 3,6 Millionen Geräte ab, Samsung verkaufte in der gleichen Zeitspanne den Marktforschern zufolge 600 000 Stück seiner Gear-Modelle.
Wer das Rennen letztlich macht, bleibt abzuwarten. Entscheidend dürfte dabei sein, wie einfach die Uhren bedient werden können, wie viel Zusatznutzen sie im Alltag tatsächlich bieten. Und mit welchen Smartphones die Uhren Kontakt aufnehmen können. Nach Einschätzung von IDC hatte sich Samsung seine potenzielle Reichweite selbst eingeschränkt, da die Gear bislang nur mit einigen Top-Smartphones aus dem eigenen Haus interagierte. Mit der Gear S2 ist Samsung über seinen Schatten gesprungen: Sie arbeitet mit allen modernen Android-Smartphones ab Version 4.4 zusammen. Google trägt den Wettbewerb auf das Feld von Apple und lässt mehrere neue Modelle mit seinem System Android Wear erstmals auch mit iPhones zusammenspielen. Der Funktionsumfang bleibt dabei allerdings schmaler als bei der Apple Watch.
Der IT-Branchenverband Bitkom erwartet für Smartwatches in diesem Jahr in Deutschland ein Absatzwachstum von 348 Prozent auf 645 000 Stück und einen Umsatzzuwachs von 566 Prozent auf 169,2 Millionen Euro. Die Zuwachsraten fallen so astronomisch hoch aus, weil die Ausgangsbasis noch so niedrig ist. Der junge Markt der Wearables insgesamt dürfte aber vor allem durch die wachsende Verbreitung von Fitness-Trackern angeschoben werden, die sich auf Funktionen wie Herzfrequenzmessung, Kalorienverbrauch und Schrittzähler beschränken, schätzen Marktbeobachter. Und hier nimmt Fitbit derzeit die Führungsposition ein.
Zu den Multiplikatoren könnten nach Einschätzung von Timm Lutter vom Bitkom auch Krankenkassen gehören. Um die Versicherten zu sportlichen Aktivitäten und einer besseren Vorsorge zu motivieren, werde derzeit über Subventionen für solche Geräte diskutiert. Rund 60 Prozent der potenziellen Nutzer wollten ihre Daten aber eher ihrem Arzt anvertrauen als der Krankenkasse.
Viele Nutzer treibe die Sorge um Datenschutz und Datensicherheit um, sagte Klaus Böhm von der Beratungsgesellschaft Deloitte. Nach Erhebungen des Bitkom haben 30 Prozent der potenziellen Nutzer von Smartwatches oder Fitness-Trackern Angst vor Datenmissbrauch.
Datenbrillen nach dem Vorbild von Google Glass sind vor dem Sprung in den Massenmarkt nach Einschätzung des Bitkom allerdings noch weiter entfernt. Gestorben ist die Kategorie, nachdem Google die erste Glass-Version stoppte, allerdings nicht. Der Bitkom erwartet bis 2017 weltweit einen Umsatz von annähernd drei Milliarden Euro mit den Geräten. Bislang habe die Akzeptanz in der Bevölkerung gefehlt. „Smartglasses sind aber nicht Geschichte“, sagte Lutter. Erfolg werde sich aber eher in bestimmten Einsatzgebieten geben, etwa als Ersatz für Audio-Guides in Museen oder für die Navigation im Auto.