Ein Screen ist nicht genug - Was TV-Zuschauer nebenbei tun
Siegen/Stuttgart (dpa/tmn) - Fernsehen und gleichzeitig im Internet surfen: Für viele ist die Beschäftigung mit einem zweiten Bildschirm bereits TV-Alltag. Second Screen nennen Experten das Phänomen - meinen damit aber mitunter unterschiedliche Dinge.
Annähernd jeder dritte Fernsehzuschauer (28 Prozent) schenkt dem TV-Programm nicht seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Denn er widmet sich gleichzeitig seinem Smartphone, Tablet oder Notebook. Das geht aus einer repräsentativen Studie des TV-Werbezeitenvermarkters IP Deutschland hervor. Ganz allgemein wird die Parallelnutzung mobiler Geräte als Second Screen bezeichnet. Das hat meist mit Fernsehen zu tun, muss es aber nicht zwingend, sagt Jan Heß, der an der Universität Siegen für das Institut für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien forscht: „Mit dem Begriff Second Screen bezeichnet man Anwendungskonzepte, die Mehrwerte in Ergänzung zu Inhalten auf einem Hauptscreen bieten.“
Speziellere Definitionen von Second Screen nennt Reinhard Otter von der Fachzeitschrift „Video“: Häufig werde der Begriff bemüht, wenn Zuschauer parallel zum TV-Programm etwa über Apps Zusatzinformationen abrufen oder sich interaktiv beteiligen können.
Seltener werde damit die Möglichkeit beschrieben, das TV-Bild mit Hilfe einer App auf Smartphones oder Tablets zu streamen. So etwas bieten zahlreiche Hersteller netzwerkfähiger TVs oder Receiver an, erklärt Reinhard Otter. „Der Fernseher sollte idealerweise per Netzwerkkabel mit dem Netzwerk verbunden sein, das Mobilgerät zwangsläufig per WLAN.“
Auch die Nutzung mobiler Geräte als Fernbedienung per App sollte man beim Stichwort Second Screen nicht vergessen. Und im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich der Begriff mitunter fürs Surfen vor dem Fernseher etabliert - egal, ob mit oder ohne Bezug zum TV-Programm.
Dass TV-Programm, Videos und Filme heute fast immer flexibel aus dem Netz abrufbar sind, macht eine Unterscheidung in First und Second Screen nicht einfacher. „Ergebnisse einer unserer Praxisstudien haben gezeigt, dass Nutzer häufig zwischen den verschiedenen Angeboten auf unterschiedlichen Plattformen hin- und herwechseln“, sagt Jan Heß.
Second Screen ermöglicht nicht nur interaktive Formate, sondern vereinfacht auch die Nutzung. „Texte können beispielsweise wesentlich einfacher mittels Handy oder Tablet eingegeben werden, als über eine Tastatur direkt am Fernseher“, betont Wirtschaftsinformatiker Heß. Außerdem überlagern Second-Screen-Zusatzinhalte nicht das TV-Bild und können Fernsehen individueller machen: „Personen sind dann vielleicht physisch am selben Ort, schauen aber unterschiedliche Inhalte oder tauschen sich nur noch virtuell aus.“
Die Voraussetzungen für die Second-Screen-Nutzung sind unterschiedlich. „Einfache Anwendungen, zum Beispiel zur Anzeige von Zusatzinformationen zu einem Film, können über den App Store direkt auf das Smartphone geladen werden“, erklärt Jan Heß. Beispiele sind hier etwa Sat.1 Connect oder das Galileo-Videolexikon von Pro7. IP-TV- und Kabel-TV-Provider realisierten auf ihren Plattformen ähnliche Funktionen.
„Darüber hinaus können Zusatzdienste der Programmanbieter, beispielsweise zu Quiz- oder Diskussionssendungen, direkt als Webseite auf dem Second Screen angezeigt werden“, sagt Heß. Mit dem HbbTV-Standard ließen sich Fernsehsendungen mit Second Screens synchronisieren. Die Nutzer können dann an definierten Punkten während der Sendung interagieren.
Die Entwicklung passender Formate stellt die TV-Macher vor neue Herausforderungen. Bisher würden meist nur existierende Dienste auf die neue Technologie übertragen. „Programmanbieter werden Antworten finden müssen, wie man neue, sendungsbegleitende interaktive Angebote für Second Screen produziert“, sagt Forscher Heß. „Großes Potenzial bieten aber auch Spielkonsolen und deren Verbindung mit Second Screens.“ So verbinde etwa Xbox SmartGlass die Microsoft-Konsole mit Smartphone oder Tablet, was das Anzeigen von Zusatzinformationen oder das Steuern per Gesten ermöglicht.
„Neben der Nutzung von Smartphone, Laptop und Tablet als Second Screens gibt es auch neue Ideen, Zusatzinformationen direkt mittels Beamer auf die Wohnzimmerwand zu projizieren“, erzählt Heß. Ein Beispiel sei Microsofts Projekt IllumiRoom. „Durch Kombination dieser Technologien könnte man in Zukunft ganz neue interaktive Programmformate entwickeln, die aus einer Sendung ein raumumfassendes interaktives Erlebnis machen“, prognostiziert der Informatiker. Denn: „Das Potenzial von Second-Screen-Anwendungen wird heute nur ansatzweise ausgeschöpft.“