Neue Chance EU-Milliardenstrafe für Intel wird geprüft
Luxemburg (dpa) - Der Chip-Riese Intel bekommt nach acht Jahren Streit eine neue Chance, das Milliarden-Bußgeld der EU-Kommission wegen unfairen Wettbewerbs zu kippen.
Das EU-Gericht muss den Fall neu aufrollen und die Argumente der Behörde genau prüfen, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH). Damit dürfte sich das Verfahren um die bereits im Mai 2009 verhängte Strafe von 1,06 Milliarden Euro noch weitere Jahre hinziehen.
Zugleich bedeutet das Urteil einen seltenen Dämpfer für die Kommission, der auch marktbeherrschenden Unternehmen mehr Spielraum bei Rabatten eröffnen könnte.
Die EU-Kommission hatte den Chip-Riesen wegen des Missbrauchs einer dominanten Marktposition bestraft. Der Brüsseler Behörde zufolge hatte Intel von 2002 bis 2007 Computerhersteller mit Rabatten dazu bewegt, Chips des Konzerns statt Prozessoren des Konkurrenten AMD zu kaufen. Außerdem habe der Chip-Gigant Zahlungen an die deutsche Elektromarkt-Kette Media-Saturn an die Bedingung geknüpft, dass sie nur Computer mit Intel-Prozessoren verkaufe. Damit habe Intel den einzigen ernsthaften Wettbewerber vom Markt drängen wollen.
Intel war 2014 beim EU-Gericht mit einer Klage gegen das Bußgeld gescheitert. EuGH-Gutachter Nils Wahl sah aber bereits im vergangenen Oktober in der Entscheidung des EU-Gerichts Rechtsfehler unter anderem bei der Beurteilung der Rabatte.
Daher müsse es nun unter Berücksichtigung der Argumente von Intel noch einmal prüfen, ob die Rabatte tatsächlich den Wettbewerb einschränken konnten, entschied der EuGH. Intels Einwände, die Kommission sei räumlich nicht zuständig gewesen, einen Missbrauch zu bestrafen, und habe zudem mit Verfahrensfehlern die Möglichkeiten des Konzerns zur Verteidigung geschmälert, wurden hingegen abgeschmettert.
Im Kern monierte der EuGH, dass es sich das EU-Gericht bei seiner Ablehnung der Intel-Berufung zu einfach gemacht habe und davon ausgegangen sei, dass dominierende Firmen mit solchen Rabatten automatisch Missbrauch begingen.
Es schloss sich der Ansicht der Kommission an, „wonach Treuerabatte, die ein Unternehmen in marktbeherrschender Stellung gewähre, bereits ihrer Art nach geeignet seien, den Wettbewerb zu beschränken“. Daher hielt das EU-Gericht die Prüfung aller Umstände und Tests von Wettbewerbern für unnötig. Diese ausgebliebene Analyse soll es nun nachholen.
Intel muss sich zugleich nicht allzugroße Hoffnungen machen: Wie der EuGH betonte, hatte die Kommission im Gegensatz zum EU-Gericht alle Umstände bewertet und auf dieser Basis das Bußgeld verhängt. Es geht also nur darum, die Analyse der Kommission noch einmal auf den Prüfstand zu stellen - worauf das EU-Gericht verzichtet hatte.
Kartellrechtler René Grafunder von der Kanzlei Dentons geht davon aus, dass auch marktbeherrschende Unternehmen nun mutiger bei Treuerabatten werden könnten. „Das Urteil öffnet Spielraum auch für Unternehmen mit hohen Marktanteilen, solche Rabatte zu erwägen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Gerade wenn es sich um zeitlich beschränkte Rabatte handelt oder solche, die sich nur auf einige Kunden beziehen, und damit nur einen kleinen Teil des Marktes betreffen, könnte man sie nach diesem Urteil rechtfertigen. Vorher hätte man aus Vorsichtsgründen gesagt, das lassen wir lieber.“
Da solche Rabatte in der Vergangenheit in der Rechtsprechung insbesondere im Postbereich relevant gewesen seien: „Dort wird das Urteil sicher besonders aufmerksam geprüft“, betonte der Kartellrechtler. „Aber eigentlich ist es relevant für alle Unternehmen mit besonders erfolgreichen Produkten oder Dienstleistungen und entsprechend hohen Marktanteilen.“
Für die Kommission kann das Urteil einen höheren Aufwand bei aktuellen und künftigen Verfahren bedeuten. „Außerhalb des Verfahrens ist es ein wichtiges Urteil, weil der EuGH deutlich sagt, die Kommission und das EU-Gericht können nicht einfach bei bestimmten Rabatten sagen, diese sind an sich so unzulässig, dass gar nicht erst geprüft werden muss, wie sie sich auswirken“, sagte Grafunder.
Das Intel-Bußgeld war lange die höchste EU-Wettbewerbsstrafe für ein einzelnes Unternehmen. Im vergangenen Juni brummte die Kommission dann Google ein Rekordbußgeld von 2,4 Milliarden Euro auf. Auch in diesem Fall gehen Experten von einem längeren juristischen Tauziehen aus.