Experte: Internetsucht nimmt zu
Hannover (dpa) - Online-Spiele, Soziale Netzwerke, Pornografie - immer häufiger verlieren sich Menschen im Internet. Die Fachstelle für Mediensucht in Hannover hilft mit Gesprächen und Therapien. Das Internet verteufeln die Macher trotzdem nicht.
Die Zahl der Internetsüchtigen in Deutschland nimmt zu. Das sagte Eberhard Freitag, Leiter von „return“, der Fachstelle für Mediensucht des Diakonischen Werks in Hannover, im Gespräch. „Onlineaktivitäten wie Spielen, Kommunizieren und Pornografiekonsum ermöglichen es, notwendigen Reifeprozessen und dem Umgang mit eigenen Gefühlen auszuweichen“, so Freitag. Allein in Hannover würden mehrere tausend Menschen unter der Sucht leiden, besonders Jugendliche. Trotzdem hält Freitag nichts von einem generellen Internet-Verbot. Vielmehr gehe es darum, einen gesunden Umgang mit dem Medium zu lernen. „Wir sind nicht gegen Onlinespiele an sich oder das Internet.“
Freitag beschäftigt sich mit Menschen, die jeden Tag stundenlang in Online-Welten oder bei Facebook verbringen. Junge Männer, die so viele Porno-Filmchen im Netz geschaut haben, dass sie kein normales Verhältnis zu Frauen mehr eingehen können. Oder aber deren Angehörigen, die mitbekommen, wie ein Mensch durch das Internet kaputt geht.
Freitag leitet seit 2008 „return“, die Fachstelle für Mediensucht in Hannover. Finanziert vom Diakoniewerk und über Spenden kümmert er sich seitdem um Hunderte Mediensüchtige. Tendenz steigend. „Die Internetsucht nimmt zu“, sagte Freitag. Das Bundesgesundheitsministerium schätzt die Zahl der Süchtigen in Deutschland auf mehr als 500 000. Allein in Hannover vermutet Freitag, dass mehrere tausend süchtig sind. „Meist kommen die Eltern von betroffenen Jugendlichen auf uns zu, wenn sie spüren, dass da etwas schief läuft.“
Besonders Jugendliche versucht die Fachstelle aus ihrer Sucht zu befreien. Der Einfluss sozialer Medien auf das Verhalten von jungen Menschen sollte nicht unterschätzt werden: Eigenständigkeit, kritisches, unabhängiges Denken und bewertungsfreie Beziehungen seien dadurch immer weniger möglich. Menschen würden nur noch gefallen wollen.
Auch der übermäßige Konsum von Internet-Pornografie könnte zu einer Verzerrung führen. „Studien dazu dokumentieren eindrucksvoll, dass Jugendliche, je häufiger sie Internetpornos konsumieren, das Gezeigte für realistisch halten“, sagte Freitag. „Der regelmäßige Konsum befördert ein negatives Frauenbild und reduziert Frauen auf ein Objekt sexueller Begierde.“ Die Hemmschwelle, selbst zum Täter sexueller Gewalt zu werden, sinke.
Trotz allem sieht Freitag das Internet selbst nicht als Problem und würde Jugendlichen keinesfalls verbieten, online zu gehen. Es sei vielmehr eine Herausforderung, die immer stärkere Vermischung zwischen Online und Offline vernünftig zu nutzen und einen gesunden Umgang zu lernen. „Auch die virtuelle Realität ist eine Wirklichkeit, die wirkt.“