Feature: Das Risiko für Facebook: Wenn der Schwarm weiterzieht

Berlin (dpa) - Früher war mehr Netzwerk: Studenten waren bei StudiVZ, Fußballfans bei wer-kennt-wen und Musiker bei MySpace. Inzwischen sind die meisten zu Facebook umgezogen, das sein Geschäft mit den Daten von mehr als 900 Millionen Nutzern voraussichtlich am Freitag an die Börse bringt.

Die Nutzer sind aber nicht nur der Reichtum von Facebook, sondern auch das größte Geschäftsrisiko. Sie sind nicht bei Facebook, weil dort alles so toll ist, sondern weil ihre meisten Freunde und Bekannten dort sind - dieser „soziale Graph“ ist zu einem kritischen Faktor der Internet-Wirtschaft geworden. Sollte der Schwarm einmal abwandern, würde das milliardenschwere Unternehmen in große Nöte geraten.

„Wenn wichtige Leute aus meinem Umfeld sagen, ich bin jetzt bei Google+, dann geht der soziale Graph mit“, erklärt der Hamburger Unternehmer und Internet-Experte Christoph Kappes. Eine zeitlang schien es zum Start im Juni vergangenen Jahres, als könnte der Internet-Gigant den Kontrahenten Facebook nervös machen. Dem Anstieg der Nutzerzahlen bei Facebook hat Google+ aber offensichtlich nicht wesentlich geschadet. Der neue Google-Dienst wird nicht so intensiv genutzt wie Facebook. Auch wenn in den „Kreisen“ von Google+ nach jüngsten Firmenangaben 170 Millionen Nutzer registriert sein sollen.

Von solchen Zahlen sind die VZ-Netzwerke weit entfernt. Nach einem stetigen Rückgang sind bei schülerVZ, studiVZ und meinVZ nach jüngsten Firmenangaben noch 4,48 Millionen Nutzer aktiv. Die VZ-Netzwerke sehen sich im Unterschied zu Facebook als nationaler Anbieter. „User, deren Social Graph nicht unbedingt international geprägt ist, halten sich unseren Erkenntnissen zufolge gern auf nationalen Plattformen auf“, erklärt Firmensprecherin Sweelin Heuss. Der Markt für Soziale Netzwerke sei offenbar noch in Entwicklung.

„Perspektivisch haben auch gut gemachte Nischenangebote ihre Chancen“, sagt Heuss. Hier wollen die VZ-Netzwerke mit einem hohen Datenschutzstandard punkten. Auf die Frage nach den Plänen für dieses Jahr antwortet Heuss: „Die VZ-Netzwerke arbeiten gerade an einer Neuausrichtung.“ Wie man es sich in der Nische erfolgreich einrichten kann, haben die Business-Netzwerke Linkedin und Xing gezeigt.

Ganz anders als Facebook will es Diaspora machen. Vier New Yorker Studenten gründeten dieses Netzwerk Anfang 2010 mit dem Ziel, den Nutzern die Kontrolle über ihre Daten selbst in die Hand zu geben. Inspiriert wurden sie von einer Rede des New Yorker Professors Eben Moglen, der mit einem flammenden Appell für Open Source und Dezentralisierung Anfang Mai auch die Teilnehmer der Blogger-Konferenz re:publica in seinen Bann zog. Beim „Crowdfunding“-Portal kickstarter.com sammelten sie mehr als 200 000 Dollar für den Start ein.

Diaspora funktioniert. Aber man trifft dort kaum Bekannte, was auch daran liegt, dass sich die Plattform noch in der Testphase befindet. Statt einer zentralen Server-Farm wie bei Facebook ist das Diaspora-Netzwerk wie das Internet selbst, verteilt auf verschiedene Server im Besitz vieler. Es ist auch möglich, einen eigenen „Pod“, ein persönliches Soziales Netzwerk einzurichten. Das Projekt wurde im November vergangenen Jahr vom Selbstmord des 22-jährigen Mitgründers Ilya Zhitomirskiy erschüttert. Jetzt aber bringt der Startup-Förderer Y-Combinator neue Hoffnung, wie zum Wochenbeginn „Bloomberg Businessweek“ berichtete: Im Juni geht es für das Diaspora-Team drei Monate lang ins kalifornische Mountain View, wo Y-Combinator das Projekt auf den Prüfstand stellt.

Der große Facebook-Herausforderer muss aber vielleicht erst noch gegründet werden. Der Hamburger Christoph Kappes sagte auf der re:publica: „Ich bin mir sicher, dass wir in zehn Jahren dezentrale Strukturen haben.“ Seine Erwartung gründet er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa zum einen auf die weiter sinkenden Kosten für IT-Hardware: „Bei mir stehen mehrere Server, die hätte ich mir vor 15 Jahren nicht leisten können.“ Zum anderen würden die mit hohem Aufwand entwickelten Innovationen, Produkte und Konzepte der großen Internet-Unternehmen kopierbar.

Langfristig könnten die Beziehungen zwischen den Nutzern wichtiger werden als das Netzwerk, in dem sie entstanden sind. „Der soziale Graph löst sich ab von den einzelnen Plattformen und legt sich als Social Layer über das gesamte Internet“, erklärt Kappes. So begegnen die Internet-Nutzer auf Facebook den gleichen Personen wie bei Foursquare - dort werden die virtuellen mit realen Orten verbunden - oder beim Musikdienst Spotify. Facebook hat mit seinen Anmeldedaten zwar die Rolle eines universellen Türöffners für unterschiedliche Dienste angenommen. „Aber dieser vielbeschworene Login-Effekt“, so erwartet Kappes, „ist schwächer, als man glaubt.“