Ferngesteuert: Händedruck aus dem All, Cyber-OP und Pflege 4.0
Oberpfaffenhofen (dpa) - Ein Kuss über Hunderte Kilometer Entfernung. Über Silikon, Plastik - und Internet. Die Cyber-Knutschmaschinen schafften nie den Durchbruch. Doch virtuell aus der Ferne zu agieren wird immer öfter möglich: in der Medizin, im Haushalt, bei gefährlichen Einsätzen, sozialen Aufgaben und in der Raumfahrt.
„SpaceJustin“ hat nicht gerade zarte Finger. Aber er kann unerwartet gefühlvoll Hände schütteln - gesteuert aus dem Orbit. Der Kosmonaut Sergej Wolkow auf der Internationalen Raumstation ISS manövrierte am Donnerstag Justins linke Hand zum Handshake mit Forschern beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen.
Ein wichtiger Schritt. Justin ist weltweit der erste humanoide Roboter, der aus dem All gelenkt wurde. Allein die Anpassung von Bewegung und Druck zwischen Schwerelosigkeit und Erdanziehung brauchte mehrere Experimente. Drei Jahre dauerten die Vorbereitungen insgesamt.
„Die Technik ist im Prinzip da. Das einzig Schwierige ist die Übertragungszeit von der Raumstation auf die Erde“, sagt Rüdiger Dillmann, Professor für Anthropomatik und Robotik am Institut für Technologie in Karlsruhe zu dem Experiment. Während auf der Erde die Verbindung über Internet läuft und sich maximal 200 Millisekunden Verzögerung ergeben, sind es im All bei den immensen Entfernungen schnell Sekunden oder zum Mars gar Minuten. Der Mensch kommt aber nur mit einer verzögerten Reaktion von etwa einer Sekunde zurecht.
„SpaceJustin“ nahm nach gelungenem Händedruck ein Glas mit Prosecco und prostete - gelenkt von Wolkow - DLR-Vorstandsmitglied Hansjörg Dittus und dem Direktor des Instituts für Robotik und Mechatronik, Alin Albu-Schäffer, zu. Künftig sollen solche Roboter Mars und Mond erforschen helfen, manch gefährlichen Weltraumspaziergang übernehmen - und Weltraumschrott sammeln. Er gefährdet sonst bald Raummissionen.
Auch in der minimalinvasiven Chirurgie, vor allem in Urologie, Gynäkologie und bei OPs im Bauchraum, sind Roboter im Einsatz. Sie können aber bisher keine haptischen Eindrücke übermitteln. Der Chirurg spürt beim Schneiden oder Nähen keinen Gegendruck, wie Christian Gratzke, Leitender Oberarzt an der Urologische Klinik der Uni München, sagt. „Anfangs dachte man, das könnte ein Problem sein. Diese Sorge stellte sich aber als unbegründet heraus.“ Hohe Beweglichkeit, 3D-Sicht auf den Operationsbereich und starke Vergrößerung seien immense Fortschritte. „Dadurch können sie sich Gegenden angucken und operieren, wo Sie normalerweise gar nicht hinkommen.“
Forscher am DLR und andernorts arbeiten dennoch mit Hochdruck daran, auch hier eine Rückkopplung zu integrieren und mehrere Kraftstufen einzubauen. Wie im Auto kann der Chirurg dann bei winzigen Schnitten einen Gang herunterschalten - und noch genauer arbeiten. Am DLR testen Experten die neue Technik: Ein winziger Nadelstich am Herzen des Dummy ist für den Operateur eine vielfach größere Bewegung, die er wie unter Mikroskop am Bildschirm kontrolliert.
Auch - teils spektakuläre - OPs aus der Ferne hat es schon gegeben. „Es ist technisch möglich“, sagt Gratzke. „Aber wir wollen, dass der Operateur am Patienten sitzt, mit den Assistenten sprechen kann und auch sofort beim Patienten eingreifen kann, falls notwendig.“
Derzeit erproben Fachleute am DLR, ob Roboter bei hochansteckenden Krankheiten Pflegeaufgaben übernehmen können. Nach der Ansteckung einer Krankenschwester in Madrid an einem Ebola-Patienten arbeite das betroffene Krankenhaus hier mit dem DLR zusammen, sagt Jordi Artigas, Leiter der Tele-Manipulationsgruppe am DLR. „Damit könnten in Zukunft alle möglichen hochinfektiösen Patienten behandelt werden. Wir sind überzeugt, dass das ein Einfallstor für robotische Anwendungen in Krankenhäusern sein wird.“ Bisher ist unklar, was das kosten könnte.
Vor allem bei gefährlichen Einsätzen werden oft längst Maschinen vorgeschickt. Von Menschen aus sicherer Entfernung gesteuerte Roboter können Minen entschärfen, in Atomkraftwerken Wartungsarbeiten vornehmen und bis zu den Brennstäben vordringen, wie Artigas sagt.
In der Zukunft könnten Angehörige über einen solchen Roboter-„Avatar“ ältere Familienmitglieder betreuen. Alte Menschen könnten mit dessen Hilfe länger selbstständig zu Hause leben. Eine Zukunft mit Robotern, die nicht nur staubsaugen oder Schrauben festziehen, sondern auch sprechen und visuelle und haptische Reize kombinieren lässt Raum für Ideen. Vielleicht eine Putzsession zu Hause, während man beim Arzt im Wartezimmer sitzt? Oder ein Besuch bei Oma mit virtueller Umarmung?
Auch wenn sich keimfreie Tele-Küsse ebenso wenig durchgesetzt haben wie Cybersex mit Gerätschaften wie dem I-Dildo und unbequem aussehenden Anzügen: Die Zukunft hat eine neue kommunikative Dimension. Ob das Telefon der Zukunft haptisch ist? Robotik-Professor Dillmann: „Ich denke schon.“ Gesprächspartner könnten sich nicht nur wie bei Videoschalten zuwinken, sondern per Händedruck oder Küsschen begrüßen. Und die Menschen werden auf dem Smartphone-Display nicht nur Bilder sehen, sondern spürbare Reaktionen fühlen. Leben 4.0.