Google wagt sich ins Revier der Autohersteller
Mountain View (dpa) - Kein Lenkrad, kein Gaspedal, keine Bremse - beim Google-Auto der Zukunft soll der Mensch dem fahrenden Computer gar nicht erst dazwischenfunken können. Nach Jahren der Entwicklung von Technik für selbstfahrende Fahrzeuge wagt der Internet-Konzern den nächsten Schritt: Er hat ein eigenes Auto entworfen.
Der erste Prototyp, den Google auf einem Parkplatz in Kalifornien rollen ließ, erinnert mit seiner kugeligen Form äußerlich noch mehr an ein übergroßes Spielzeug-Auto aus dem Hause Playmobil oder einen Kinder-Einkaufswagen aus dem Supermarkt, denn an die ausgefeilten Produkte der etablierten Fahrzeughersteller.
Selbst die Lampen auf der Front-Partie, die ein unverkennbares Gesicht bilden, sind noch Aufkleber. Aber es ist ein Anfang: Das niedliche Kugelauto fährt wie von Geisterhand und soll dank eines dicken Laser-Scanners auf dem Dach, vielen weiteren Sensoren und der speziell angepassten Konstruktion auch extrem sicher werden.
Der Internet-Konzern hatte vor knapp vier Jahren die Autobranche mit der Nachricht kalt erwischt, dass er eine Flotte Toyotas zu Roboter-Wagen umgebaut hat. „Die ersten Google-Fahrzeuge haben die Autoindustrie aufgeschreckt“, sagt Branchenexperte Andreas Baier von der Unternehmensberatung Accenture.
Die Autohersteller und Branchenzulieferer legten sich fortan mächtig ins Zeug und etwa Mercedes oder Audi können inzwischen eigene selbstfahrende Fahrzeuge vorweisen. Die Industrie bereitet sich darauf vor, dass sie etwa zum Jahr 2020 regulär auf die Straße kommen.
So weit, auf die grundlegenden Steuerelemente zu verzichten und den Fahrer ganz zu entmachten, ging vor Google aber noch keiner. Audi demonstrierte zur diesjährigen CeBIT zwar den Entwurf eines Cockpits mit klappbarem Lenkrad - aber ein heutiges Grund-Prinzip ist: Der Mensch muss jederzeit ins Fahrgeschehen eingreifen können.
Das Auto ohne Lenkrad macht nicht nur die Haftungsfrage bei Unfällen noch akuter. Was ist, wenn der Auto-Computer in einer extremen Notfall-Situation entscheiden muss, ob er das Leben des Passagiers oder eines im Weg stehenden Fußgängers retten soll? Wie schnell werden überhaupt wie viele Menschen bereit sein, ihr Leben im Straßenverkehr dem Computer anzuvertrauen? „Was wirklich akzeptiert wird, was nachhaltig sicher ist, wird man noch sehen müssen“, sagt Accenture-Experte Baier.
Google-Mitgründer Sergey Brin macht es jedenfalls vor: „Etwa zehn Sekunden nach dem Einsteigen habe ich meine E-Mails gecheckt. Es war wie in in einem Sessellift.“ Es gehe aber insgesamt um ein Modell für die Mobilität der Zukunft, erklärte er nach der Ankündigung bei einem Auftritt auf der Konferenz des Blogs „Recode“.
Die vielen Autos im privaten Eigentum seien eine große Belastung für die Gesellschaft. Sie würden 96 Prozent der Zeit nicht genutzt - und zugleich sei zu Stoßzeiten jeder Dritte in der Stadt auf der Suche nach einem Parkplatz unterwegs. „Damit ist es vorbei, wenn man Autos hat, die selbst fahren, sie aussetzen und sich andere Passagiere suchen.“
Bis es soweit ist, müsste allerdings erst noch tatsächlich ein serienreifes Auto gebaut werden. Im Google-Video zur Vorstellung der ersten Prototypen war kurz die Montage per Hand zu sehen. Google hätte das nötige Kleingeld, um sich einen eigenen Autozulieferer oder Auftragsfertiger zu kaufen.
Doch der Konzern steht hier einer Industrie gegenüber, die auf Jahrzehnten hochtechnologischer Forschung aufbauen kann. „Die Stärke der Autoindustrie ist die Fähigkeit der Gesamtintegration. Und sie erzählt auch nicht von allem, was sie macht“, betont Baier. 100 Jahre Fahrzeugerfahrung und ständige Innovationen zu überbieten - „dafür muss einer schon verdammt gut sein“, gab sich jüngst der Chef des deutschen Branchenverbandes VDA, Matthias Wissmann, selbstbewusst.
Brin zeigte sich erneut offen für Kooperationen mit der Autoindustrie, sie reagierte jedoch bisher zurückhaltend. „Google möchte die zentrale Informationsdrehscheibe für den Menschen werden“, sagt Baier. Es gebe Überschneidungen bei allen Informationen zur Mobilität rund um das Auto. „Wenn es für die Autohersteller an den Kern der jeweiligen Geschäftsmodelle geht, sind Kooperationen wie zum Beispiel mit Google klare Grenzen gesetzt“, ist er überzeugt.
So verwies auch Daimler darauf, dass der Konzern sich schon länger selbst mit dem Thema befasse. „Bei Mercedes-Benz haben die ersten teilautonomen Funktionen das Prototypen-Stadium längst verlassen“, erklärte Ralf Guido Herrtwich, Leiter Fahrassistenz- und Fahrwerksysteme. Die Kunden profitierten schon heute davon. „Und wir haben noch sehr viele konkrete Ideen für die kommenden Jahre.“
Für neue Spieler ist der Einstieg in die Branche extrem schwierig und teuer. Der Elektrowagen-Hersteller Tesla, der von Grund auf ein neuartiges Auto entwickelte, kann ein Lied davon singen. Die Firma hat zwar eine treue Fangemeinde, die Stückzahlen sind mit etwas über 20 000 im Jahr aber nach wie vor überschaubar. Für die deutschen Hersteller, die in der Oberklasse mit teuren und sportlichen Autos punkten, kommen die neuen Flitzer aber gar nicht so ungelegen, da sie auf neue Technik neugierig machen.