Googles Street View in Deutschland: Die eingefrorene Zeit
Berlin (dpa) - Städte verändern sich, Häuser werden abgetragen und neu gebaut, die Straßenführung umgeplant. Aber wer in Deutschland wissen will, wie seine Nachbarschaft vor fünf oder sieben Jahren aussah, hat eine aufwendig gestaltete Gedächtnisstütze: Google Street View.
Anders als in anderen Teilen der Welt blieb hierzulande im digitalen Panorama-Dienst des Internet-Riesen die Zeit stehen. Seit dem Start für 20 große Städte in Deutschland am 18. November 2010 ist Street View weder aktualisiert noch erweitert worden. Und die auf Antrag der Einwohner unkenntlich gemachten Gebäude bleiben auch bis auf weiteres verschwommen - denn unwiederbringlich verpixelt wurde in den Original-Aufnahmen.
Google macht deutlich, dass sich daran auch nichts ändern wird, solange die Einwohner weiterhin das von Datenschützern erkämpfte Recht haben, der Veröffentlichung von Abbildungen ihrer Wohnhäuser schon vorab zu widersprechen, bevor die Aufnahmen überhaupt online gehen. „Solange dieser Punkt besteht, wird es keine neuen Aufnahmen von deutschen Straßen geben“, hakt eine Sprecherin ab. Die Vorab-Verpixelung anhand gemeldeter Adressen habe nicht nur einen großen Aufwand bedeutet, sondern auch zu Fehlern geführt, die vermeidbar gewesen wären, argumentiert sie. Googles Kamerawagen seien zwar seitdem in Deutschland unterwegs gewesen - aber nur um herkömmlichen Stadtpläne zu aktualisieren, nicht Street View.
Die Debatte um Street View kochte schon lange vor dem Deutschland-Start des Dienstes hoch. „Ich kann mir anhand von solchen Diensten anschauen, wo und wie jemand lebt, welche privaten Vorlieben er oder sie hat, wie seine Haustür gesichert ist oder welche Vorhänge an den Fenstern sind - und das ist noch das Wenigste“, warnte schon Anfang 2010 die damalige Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU). „Damit wird das Private ohne Schutzmöglichkeiten an die globale Öffentlichkeit gezerrt.“
Auch Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar witterte einen Einflussgewinn für den Internet-Riesen. „Google kann die Fotos von den Häusern, Straßen und Menschen mit anderen Informationen verknüpfen“, mahnte er im „Tagesspiegel“. „Wie und wo man wohnt, kann Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse zulassen.“
Zudem leistete sich Google auch noch einen gravierenden Fehltritt: Wie sich nach Nachforschungen des Hamburger Datenschützers Johannes Caspar herausstellte, war die Software der Kamerawagen so programmiert, dass sie Informationen aus ungeschützten WLAN-Netzen aufgriffen. Google sprach von einem Fehler eines einzelnen Mitarbeiters, doch international gab es massiven Ärger mit den Behörden bis hin zu Strafen auch in den USA.
Gestartet war Street View im Mai 2007 zunächst in den USA. Seit 2008 wurden Gesichter in den Aufnahmen automatisch unkenntlich gemacht. Vor Deutschland war der Dienst bereits unter anderem in Großbritannien verfügbar. Dort konnten Bürger ihre Häuser in den Ansichten nach der Veröffentlichung verfremden lassen. Zum Beispiel hatte Ex-Beatle Paul McCartney von diesem Recht Gebrauch für sein Londoner Haus gemacht.
In Deutschland beantragten 244 000 Haushalte, ihre Wohnhäuser auf den Street-View-Aufnahmen unkenntlich zu machen. Google betonte, dies seien knapp drei Prozent der Haushalte in den 20 Städten gewesen - aus Sicht des Konzerns relativ wenig nach der großen Aufregung und Umfragen, in denen zum Teil die Hälfte der Bürger sich gegen den Dienst ausgesprochen hatte. Angaben dazu, wie viele ihre Häuser danach noch verpixeln ließen, gibt es nicht.
In den vergangenen Jahren fuhren auch andere Technologiefirmen wie Nokia oder Microsoft deutsche Straßen mit Kamerawagen ab, starteten aber keinen Street-View-Konkurrenten. Aktuell schickt Apple seine eigenen Kamera-Autos unter anderem nach Frankreich und Italien - für Deutschland gibt es bisher keine Ankündigungen.