Greenwald: „Deutschland hat von Snowden-Enthüllungen profitiert“
Berlin (dpa) - Der Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald drängt den Bundestag, Snowden zu befragen. Ohne ihn könne der Spionageskandal nicht vollständig aufgeklärt werden, sagte Greenwald der dpa in Berlin am Rande einer Preisverleihung.
Frage: Ihre ersten Enthüllungen über die NSA sind jetzt fast ein Jahr her. Entspricht die weltweite Reaktion Ihren Erwartungen?
Antwort: In gewisser Hinsicht ist die Reaktion stärker ausgefallen, als wir es uns im besten Fall vorgestellt haben. Sogar nach zehn Monaten ist das weltweite Interesse unglaublich groß. Eine Debatte wurde angestoßen über die Gefahr von Geheimhaltung, die Rolle der USA in der Welt, darüber, wie Bürger den Aussagen von Regierungsvertretern vertrauen können, über die Rolle des Journalismus. Ich denke, es gibt eine breite Debatte, die über die Überwachung hinausgeht.
Frage: Gleichzeitig hat eine gewisse öffentliche Ermüdung eingesetzt. Wie wollen Sie die Enthüllungen weiter vorantreiben?
Antwort: Ich bemerke nicht viel Gleichgültigkeit. Ich bemerke das Gegenteil: Eine Art andauernde Empörung, dass dieses Überwachungssystem nicht nur errichtet wurde, sondern dass es komplett im Geheimen und ohne demokratische Kontrolle errichtet wurde.
Frage: Im Deutschen Bundestag arbeitet seit Kurzem ein Untersuchungsausschuss daran, die NSA-Überwachung aufzuklären. Wie wichtig ist es, dass Edward Snowden dort persönlich aussagt?
Antwort: Snowden hat eine Menge Informationen, denn er hat fast ein Jahrzehnt innerhalb des Systems gearbeitet. Ich denke, es wäre unglaublich unverantwortlich für Ermittler, nicht alles irgend mögliche dafür zu tun, Snowden persönlich zu befragen. Wenn sie das nicht tun, wird es riesige Lücken in ihrer Untersuchung geben - allein aus dem Grund, dass sie nicht den politischen Willen aufbringen konnten, Snowden hierher zu bringen.
Frage: Wie stehen Sie zu der Frage, ob Snowden in Deutschland politisches Asyl bekommen könnte?
Antwort: Ich finde diese ganze Debatte fast beleidigend. Es gibt Länder, die von den Enthüllungen besonders profitiert haben. Deutschland ist sicher ganz oben auf dieser Liste. Weil Snowden diese Risiken auf sich genommen hat, haben alle Deutschen etwas erfahren und können ihr Recht auf Privatsphäre besser schützen. Spitzenpolitiker haben so von der Invasion ihrer Privatsphäre und ihrer Kommunikation erfahren. Ein Land wie Deutschland hat riesig davon profitiert, dass Snowden bereit war, seine eigenen Interessen für die Rechte anderer zu opfern. Dass so ein Land nicht willens ist, im Gegenzug irgendein Opfer zu bringen, wie eine kurzfristige Veränderung der Beziehung zu den USA, wirkt auf mich beleidigend und unmoralisch.
Frage: Sehen Sie sich als Journalist oder als Aktivist?
Antwort: Ich denke ehrlich gesagt nicht, dass Aktivist ein Schimpfwort ist. In Wahrheit sind alle Journalisten Aktivisten, ob sie es wahrhaben wollen oder nicht. Journalisten treffen sehr subjektive Entscheidungen darüber, wie wir die Welt beschreiben. Wwir haben eine Meinung, wer gehört werden sollte und was wichtig ist. Für mich lautet die Frage daher nicht „Sind Sie ein Aktivist?“, die Frage lautet, „Sind Sie ein ehrlicher Journalist?“. Erklären Sie ihren Lesern ihre Entscheidungen?
Frage: Haben die Enthüllungen dem Kampf gegen den Terrorismus geschadet?
Antwort: Nein, das ist lächerlich. Wir haben Terroristen nichts erzählt, was sie nicht sowieso schon wussten. Wir haben dem Rest der Welt, den Milliarden von Nicht-Terroristen die das Internet und Telefone benutzen, erzählt, dass das Überwachungssystem auf sie gerichtet ist und nicht auf die Terroristen. Die amerikanische und die britische Regierung sind nicht wütend, dass wir die Sicherheit schädigen, sondern dass wir ihren Ruf schädigen und ihre Fähigkeit, die ganze Welt auszuspionieren.
Frage: Gibt es jemals eine Rechtfertigung für Überwachung?
Antwort: Snowden sieht ein, ebenso wie ich, dass es natürlich legitime Überwachung gibt. Wenn die Regierung Beweise hat, die sie einem Gericht vorlegen, dass jemand wahrscheinlich einen Terroranschlag plant oder Teil einer Terrorgruppe ist, oder sogar Teil des Militärs oder der politischen Führung eines verfeindeten Staates ist. Ich denke, jeder erkennt, dass Überwachung in solchen Fällen gerechtfertigt ist. Wäre das Überwachungssystem auf diese Fälle beschränkt gewesen, habe ich meine Zweifel, dass Edward Snowden sein Wissen je öffentlich gemacht hätte.
Frage: Was unterscheidet die NSA-Überwachung davon?
Antwort: Was diesen Fall so anders macht, ist dass dieses System der Überwachung so weit über das hinausgeht, was die Menschen als zulässig betrachten. Es ist darauf ausgelegt, ein allumfassendes Überwachungssystem zu sein. Und deswegen sind diese Enthüllungen so wichtig.
Frage: Gibt es etwas, dass Sie besonders schockiert hat?
Antwort: Die Tragweite ist das schockierendste. Das Ziel der USA und ihrer vier englischsprachigen Verbündeten Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland ist es, die Privatsphäre weltweit abzuschaffen. Das ist keine Übertreibung, das ist tatsächlich ihr Ziel. Ihr Ziel ist es, alle elektronische Kommunikation die Menschen miteinander weltweit austauschen, zu sammeln und zu speichern und dann, wenn sie wollen, anzuschauen und auszuwerten. Sie wollen jedes Telefonat, jede E-Mail, jedes Surfen im Internet sammeln. Sie sind davon besessen, dass es noch Orte auf der Welt gibt, an denen man kommunizieren kann, ohne dass sie es wissen.
ZUR PERSON: Glenn Greenwald (47) ist einer der wichtigsten Journalisten hinter den NSA-Enthüllungen. Der Informant Edward Snowden vertraute ihm und der Dokumentarfilmerin Laura Poitras sein Archiv streng geheimer NSA-Dokumente an. Greenwald enthüllte daraufhin unter anderen das Programm „Prism“, mit dem der US-Geheimdienst Daten bei Facebook, Google oder Microsoft abgreift. Er arbeitet inzwischen für die Enthüllungsplattform „The Intercept“.