Internet am Steuer wird Realität
Frankfurt/Main (dpa) - Das Internet hat nahezu jeden Aspekt des Lebens verändert - nur beim Autofahren, da war bisher vieles wie früher. Mit der Smartphone-Revolution findet zur IAA auch das Netz den Weg ins Auto.
Und mit branchenfremden Angreifern brechen frische Rivalitäten auf.
An Visionen für das vernetzte Auto der Zukunft mangelte es schon seit Jahren nicht, die Realität war bisher eher ernüchternd. Während Entwickler davon schwärmten, wie intelligente Fahrzeuge mitdenken und sich automatisch vor Gefahren auf der Straße warnen können, musste der Käufer hunderte Euro für Navi-Radios mit eingeschränktem Funktionsumfang hinblättern.
Doch der Vormarsch der Smartphones mit ihren unendlichen Möglichkeiten hat alles verändert. „Wenn wir den Leuten nicht etwas ordentliches bieten, holen sie während der Fahrt ihr Telefon raus, auch wenn es verboten ist“, sind sich Fachleute von Autobauern und Ausrüstern bewusst. Auf der diesjährigen Internationalen Automobil-Ausstellung IAA ist der Vorstoß des Internets ins Auto so greifbar wie nie zuvor.
Die Autobranche folgt dabei dem Muster der Smartphone-Revolution mit den Schlagworten Apps und Cloud. Die Apps, die kleinen Programme, sind dazu da, einzelne Funktionen zu erledigen. In der Cloud, der Internet-Wolke, liegen die Daten und werden von dort abgerufen. Während früher Geräte im Mittelpunkt standen, spielt heute immer mehr Software die Hauptrolle, das „Eisen“ ist nur die Bühne, auf der sie läuft. „Das Auto wird zum mobilen Endgerät“, bringt es ein BMW-Experte auf den Punkt.
Eine entscheidende Herausforderung gibt es dabei allerdings: Die Menschen fahren, während sie Internet-Dienste nutzen und dürfen nicht abgelenkt werden. Der Kompromiss zwischen Bedienkomfort und der Notwendigkeit, die Augen auf die Straße zu richten, ist ein ewiges Problem. Ist ja schön und gut, dass man Internet im Auto hat, aber wie tippt man ein Ziel oder eine Google-Suchanfrage ein? BMW setzt noch auf den Drehknopf zur Eingabe einzelner Buchstaben, Audi lässt Fahrer Buchstaben auf einen Touchscreen malen.
Das Argument Fahrsicherheit prägt auch die Art, wie Apps im Auto genutzt werden können. Man kann schließlich nicht die ganze Zeit bei Facebook oder Twitter blättern. Die Lösung: Die Nachrichten werden vom System vorgelesen.
Eigene SIM-Karten sind vorerst nur selten vorgesehen, meist sorgt das Smartphone für die Verbindung zum Internet - und viele Programme laufen auf dem Telefon und werden auf dem Bildschirm des Autos nur angezeigt. Das Autosystem wird gewissermaßen zum Smartphone-Zusatz.
Doch das wird nicht so bleiben. Ford will zusammen mit dem Start-Up Bug Labs eine eigene App-Plattform für seine Fahrzeuge entwickeln. Der deutsche Zulieferer Continental zeigt auf der IAA eine Studie, in der zwei Bildschirme das Armaturenbrett ausfüllen, mit allen Anzeigen von Geschwindigkeit bis zu Navigation oder Unterhaltung. In drei bis fünf Jahren könnte ein solches System in Serienautos auftauchen. Die Anzeige ist frei konfigurierbar, auch wenn der Verbraucher wahrscheinlich zumindest nicht den vollen Zugriff darauf bekommen wird. Zeichen der Zeit: Das Conti-System „AutoLinq“ läuft mit dem Google-Betriebssystem Android, der meistbenutzten Smartphone-Plattform der Welt.
Das veränderte Geschäft lockt auch neue Wettbewerber an - wie den US-Konzern Harman International, der noch vor ein paar Jahren vor allem für Musikanlagen bekannt war. „Meine 23-jährige Tochter hat mich einmal gefragt: Papa, warum soll ich 1000 oder 2000 Dollar für ein Autosystem ausgeben, das weniger als mein Smartphone kann?“, erzählt Harman-Chef Dinesh Paliwal.
Der frühere ABB-Manager witterte eine Marktlücke, während im Stammgeschäft mit Hifi-Anlagen heute nur wenig Musik drin ist. Zur IAA brachte Harman nicht nur einen Ferrari mit einem 18-Lautsprecher-System mit, sondern auch die App-Plattform „aha“, mit der man sich Facebook-Nachrichten vorlesen oder Hörbücher aus der Cloud abspielen kann. „Die künftige Dominanz der Software gibt uns eine Chance, mit etablierten Zulieferern mitzuspielen“, zeigt man sich bei Harman überzeugt.
Continental gibt sich angesichts der neuen Rivalen gelassen. Da der deutsche Zulieferer schließlich auch Motorelektronik oder Bremssysteme liefere, könne man die gesamte Fahrzeugelektronik vernetzten, sagt ein Sprecher. Conti-Chef Elmar Degenhart spricht etwa von vorausschauenden Getriebesteuerungen oder mitdenkenden Gaspedalen. Möglich sind der Autoschlüssel im Smartphone oder der Mietwagen, der einen Handy-Besitzer erkennt und sich auf seine Vorlieben einstellt.
Der Markt steht vor einem explosiven Wachstum. Das Beratungsunternehmen Oliver Wyman rechnet damit, dass zum Jahr 2016 der Anteil vernetzter Neuwagen bereits bei 80 Prozent liegen wird. Und der Kampf um diesen Markt ist voll entbrannt.