iPhone 6 und 6 Plus im Test: Auf die Größe kommt es doch an
Berlin (dpa) - Lange Zeit hat sich Apple gegen den Trend zu immer größeren Smartphones gestellt. Mit den beiden neuen iPhone-6-Modellen geben die Kalifornier diesen Widerstand auf. Eine gute Entscheidung, denn im Praxistest zeigen sich XXL-Vorteile.
Die Vorstellung der neuen iPhone-Modelle von Apple im Herbst zieht jedes Jahr weltweit Millionen Technikbegeisterte in den Bann. Beim jüngsten Event in Cupertino im US-Bundesstaat Kalifornien mussten sich die neuen iPhones allerdings die Aufmerksamkeit mit der erstmals präsentierten Apple Watch und Apple Pay teilen. Doch während man auf die Smartwatch und das Bezahlsystem in Deutschland noch unbestimmte Zeit warten muss, sind die neuen iPhone-Modelle ab Freitag (19. September) zu haben.
Potenzielle iPhone-Käufer können nun aus drei verschiedenen Größen auswählen: Neben den beiden Vorsaison-Modellen 5c und 5s mit einem 4-Zoll-Display stehen künftig das iPhone 6 mit 4,7 Zoll und das für Apple-Verhältnisse riesige iPhone 6 Plus mit 5,5-Zoll-Diagonale im Programm. Mit den beiden neuen Modellen verabschiedet sich Apple von den scharfen Kanten und kehrt zu den abgerundeten Seiten des ersten iPhones aus dem Jahr 2007 zurück. Allerdings ist das Gehäuse mit einer Stärke von nur noch 7 Millimeter mit den Jahren viel dünner geworden. Mit ihren Metallgehäusen bringen die beiden iPhones dabei nicht mehr auf die Waage als vergleichbar große Plastik-Smartphones von Samsung.
Im Praxistest überzeugen beide neuen iPhone-Modelle mit sehr hellen Displays, die Farben natürlich darstellen - und nicht so quietschbunt wie manche Konkurrenzmodelle mit AMOLED-Bildschirm. Im Vergleich zum exzellenten Display des iPhone 5s registrierten wir im Praxistest allerdings nur noch einen kaum spürbaren Fortschritt. Deutlich erkennbar ist aber die höhere Auflösung. Mit 1334 x 750 Pixel beim iPhone 6 und Full-HD-Auflösung (1920 x 1080) bei 6 Plus passt nun eine zusätzliche Icon-Reihe für Apps auf den Startschirm.
Apps wie Mail oder der Browser Safari wurden von Apple bereits an die höhere Auflösung angepasst. Auf dem Plus-Modell können etliche Anwendungen in einem Quermodus betrieben werden. So sieht man beispielsweise im Mail-Client in einer Art Splitscreen die Liste der Nachrichten sowie die ausgewählte Mail selbst. Zum Marktstart sind aber selbst Apple-Apps wie das Präsentations-Programm Keynote noch nicht an die höhere Auflösung angepasst worden. Besitzer eines iPhones können sich allerdings auf eine Aktualisierungswelle einstellen, mit der die App-Entwickler von den neuen Möglichkeiten Gebrauch machen und ihre Apps anpassen werden.
Damit die beiden iPhones künftig auch mit einer Hand bedient werden können, hat Apple den Ein/Ausschalter von der oberen Gehäuseseite an den seitlichen Rand verlegt. Außerdem kann man mit einem sanften Doppel-Tippen auf den Home-Button dafür sorgen, dass die obere Hälfte des Bildschirmrands nach unten rutscht, um sie mit dem Daumen zu erreichen. Beim iPhone 6 funktioniert der Einhandbetrieb noch einigermaßen, beim 6 Plus muss man schon sehr jonglieren.
An den Rückseiten der neuen iPhone-Modelle ist erkennbar, dass Apple auf technische Gegebenheiten Rücksicht nehmen musste. So ragt nun die Kameralinse leicht hervor. Außerdem musste Apple mit dezenten Plastikeinsätzen in der Rückwand dafür sorgen, dass sich das „Antennagate“ des iPhone 4 nicht wiederholt. Damals war das neue Design des Metallrahmens unter bestimmten Umständen für schlechte Empfangsleistungen der Mobilfunkantennen verantwortlich. Trotz dieser beiden kleinen Einschränkungen ist die Rückseite der neuen iPhones eigentlich viel zu schick, um hinter einer Schutzhülle zu verschwinden.
Bei den Kameras verweigert sich Apple der nur bedingt sinnvollen Jagd nach möglichst hohen Pixelzahlen. Die Kamera auf der Rückseite bleibt bei den acht Megapixel des iPhone 5s. Die Bilder im Test fielen schön scharf und detailreich aus, auch dank eines äußerst schnellen Autofokus. Bei der Auflösung bieten aber einzelne Spitzenmodelle von Samsung oder Nokia noch mehr.
Der Linse im iPhone 6 Plus wurde zusätzlich eine optische Bildstabilisierung spendiert, so dass hier Verwackelungen selbst bei wenig Licht kaum noch vorkommen. Das iPhone 6 Plus dürfte auch unter den Videofilmern seine Anhänger finden. Die Kamera zeichnet Videos in Full-HD (1080p bei 60 Hz) auf und profitiert massiv von dem Verwackelschutz. Die Chat- und Selfie-Kameras an der Frontseite der neuen iPhones müssen aber weiterhin mit nur 1,2 Megapixel auskommen. Hier könnte Apple in Zukunft nachbessern.
Über technische Details „unter der Haube“ schweigt sich Apple wie üblich aus. Nach dem Praxistest kann man davon ausgehen, dass der Apple-Chip A8 auf 1,4 Gigahertz getaktet und mit zwei Kernen ausgestattet ist. In der Android-Welt werden zum Teil noch schnellere Chips oder Displays mit höherer Auflösung verwendet, doch in vielen Fällen geht das wie beim Smartphone G3 von LG stark zu Lasten der Akkulaufzeit. Außerdem werden diese Hochtakt-Boliden im Dauerbetrieb unangenehm heiß.
Der A8 der beiden neuen iPhones erwies sich rund 20 Prozent schneller als der des 5s, der verbaute Grafikchip beschleunigt die Geräte noch deutlich über diesem Wert. So laden große Apps rund 50 Prozent schneller. Bei der Leistungssteigerung ist es Apple dabei gelungen, den Energiehunger der neuen iPhones zu zügeln, wodurch die Geräte auch bei Dauerbelastung nicht zu heiß werden. Beim Benchmarktest GFX Manhattan Onscreen war auch nach fünf Durchläufen nicht zu spüren, dass die neuen iPhones zu warm oder in der Leistung gedrosselt werden.
Einige Features werden die neuen iPhones noch nicht überall oder erst in Zukunft ausspielen können. So unterstützt das iPhone nun auch ein weiteres und schnelleres LTE-Funknetz (Kategorie 4 mit einer maximalen Datenrate von 150 MBit/s), das von den Providern in Deutschland aber noch nicht flächendeckend zur Verfügung gestellt wird. Mit den iPhones kann man theoretisch auch ohne spezielle Dienste wie Skype mit seiner Mobiltelefonnummer im WLAN telefonieren, wenn beispielsweise das Netzsignal des Providers zu Hause schlecht ankommt oder im Ausland das klassische Roaming zu teuer oder kompliziert ist. Die deutschen Telekommunikationsanbieter bieten allerdings das attraktive „Wi-Fi calling“ (noch) nicht an.
Mit einem eingebauten NFC-Chip sind die neuen iPhone-Modelle auch für das neue kontaktlose digitale Bezahlsystem Apple Pay vorbereitet, das in den USA noch im Oktober an den Start gehen wird. Wann man hierzulande auch mit seinem iPhone bezahlen können wird, steht aber noch in den Sternen. Weder Handel, Banken noch Kreditkartenfirmen oder gar Apple haben ein Startdatum für Apple Pay in Europa oder Deutschland genannt.
Zurück zur Hardware: Da in den größeren Gehäusen nun mehr Platz für die Akkus zur Verfügung steht, verkürzen die höhere Leistung der Chips und die höhere Auflösung der Displays nicht die vom iPhone 5s gewohnte Akku-Laufzeit. Das iPhone 6 machte im Test - wie von Apple versprochen - erst nach über 11 Stunden durchgehender Videowiedergabe schlapp und erzielte mit 12 Stunden beim Surfen über WLAN sogar eine Stunde mehr als von Apple behauptet. Das iPhone 6 Plus hielt beim Surfen sogar 14 Stunden durch, zwei Stunden länger als von Apple versprochen. Allerdings lag beim Test der Videowiedergabe der Wert beim iPhone 6 Plus ein wenig unter den von Apple in Aussicht gestellten 14 Stunden.
An die größeren Maße des iPhone 6 gewöhnt man sich schnell, auch wenn man bislang mit einem deutlich kleineren Smartphone wie dem iPhone 4s unterwegs war. Das iPhone 6 Plus fällt mit seinen 5,5 Zoll dagegen klar in die für viele iPhone-Besitzer noch stark gewöhnungsbedürftige Kategorie der „Phablets“, also einer Mischung aus „Phone“ (Telefon) und Tablet-Computer. Das iPhone 6 wird mit 16 Gigabyte Speicher von Apple für 699 Euro verkauft. 64 Gigabyte kosten 100 Euro mehr, 128 GB weitere 100 Euro Aufschlag.
Das iPhone 6 Plus kostet jeweils 100 Euro mehr als das entsprechende iPhone 6 (799, 899 und 999 Euro). Der Speicher kann nicht nachgerüstet werden, daher müssen sich die Käufer vorab gut überlegen, welche Variante sie bevorzugen.