Jane McGonigal - Mal spielend die Welt retten
Berlin (dpa) - Abermillionen Menschen weltweit verbringen immer mehr Zeit in den virtuellen Welten von Computerspielen. Dass sich dieses Potenzial positiv für ganz reale Probleme nutzen lassen könnte, schildert die amerikanische Spieledesignerin Jane McGonigal.
Für manche ist es nichts als Zeitverschwendung. Dennoch gibt es immer mehr Menschen, die eine immense Leidenschaft für Spiele entwickeln. Ob „World of Warcraft“, „Super Mario“ oder „Guitar Hero“ - Millionen von Menschen verbringen immer mehr Zeit in virtuellen Welten - und entfliehen der Wirklichkeit. Doch die Gamer haben wertvolle Fähigkeiten, enormen Teamgeist und eine unvergleichliche Hingabe, schwierige Aufgaben zu lösen, meint Jane McGonigal, Forschungsleiterin am Institute for the Future (IFTF) im kalifornischen Palo Alto.
Warum sollten wir diese Fähigkeiten nicht künftig nutzen, um die Welt besser zu machen und reale Probleme wie Hunger und Armut zu bekämpfen? Mit ihrer ungewöhnlichen These hat die Spieleentwicklerin bereits viel Aufmerksamkeit über die Branchengrenze hinweg erregt. Nun ist ihr Buch „Besser als die Wirklichkeit! Warum wir von Computerspielen profitieren und wie sie die Welt verändern“ im Heyne-Verlag auch auf Deutsch erschienen.
Allein in den USA gibt es laut McGonigal inzwischen 183 Millionen aktive Gamer, die von sich behaupten, im Schnitt 13 Stunden pro Woche Computer- oder Videospiele zu spielen. In China lebten bereits 6 Millionen Menschen, deren Spielleidenschaft zeitlich der einer Halbtagsstelle gleichkomme. In Deutschland, Frankreich und Großbritannien spielen mehr als 10 Millionen Gamer mindestens 20 Stunden die Woche. Mit zahlreichen Fakten untermauert McGonigal, wie schnell sich die Spielleidenschaft überall in der Welt immer mehr ausbreitet - und es die Menschen in virtuelle Welten zieht. Dabei geht sie davon aus, dass sich diese Entwicklung kaum rückgängig machen lässt. Verbote würden nichts ausrichten, es müsse ein dritter Weg her.
Warum also profitieren wir nicht von den Computerspielen und den daraus gewonnenen Fähigkeiten und verändern damit einfach die reale Welt, fragt McGonigal. Das Wissen und Können der Spieledesigner könnte auch darauf verwendet werden, reale Aufgaben spielerisch zu entwickeln und die Problemstellung praktisch umzusetzen. Spieledesigner wüssten noch am besten, wie man Menschen zu Höchstleistungen anspornt und durch Belohnungen verhindert, dass sie vorschnell das Handtuch werfen, ist sich McGonigal sicher.
Und McGonigal nutzt ihre Erfahrungen als Spieledesignerin im Kleinen bereits: Es gibt Dinge, die tut man einfach nicht gerne. Doch McGonigal lässt in ihrem Haushalt für sich den Spieltrieb arbeiten. Ihr Mann steht sogar nachts auf, um ihr beim Bad-Putzen zuvor zu kommen. Der Trick: Ihre Hausarbeiten sind Teil eines kostenlosen Online-Rollenspiels (Alternate Reality Game) namens „Chore Wars“, ihre Wohnung ist das Land der 41. Floor-Ninjas. Und für keine Haushaltstätigkeit gibt es mehr Erfahrungspunkte als dafür, das Reich von Toilettendreck zu befreien, erklärt McGonigal.
Solche und andere Spielprinzipien lassen sich ihrer Meinung nach auf alle wichtigen Aufgaben übertragen. Mit der Kraft des Spieltriebs ließe sich jede erdenkliche Zukunft schaffen, ist sie sich sicher. Spiele motivieren Menschen dazu, schwierige Dinge zu tun, um ein bestimmtes Level zu erreichen oder eine andersartige Belohnung zu erhalten. Spieler sind angespornt, auch schwierige Hindernisse zu überwinden. Und sie empfinden dabei sogar „glückselige Produktivität“.
Und in manchen Onlinespielen beteiligen sich Zehntausende Spieler an der Lösung eines Problems, das sie gemeinsam angehen - oder sie erschaffen gleich eine komplett neue Welt. Angesichts vieler drängender Fragen der Menschen könnten wir es uns „nicht länger erlauben, Spiele als ein Vergnügen zu betrachten, das unabhängig ist von unserem echten Leben und unserer echten Arbeit“, folgert McGonigal.
Ihre ungewöhnlichen Thesen legt die in New York geborene und heute in San Francisco lebende Wissenschaftlerin mit viel Leichtigkeit und Begeisterung dar. Auch wenn ihr Ansatz für viele Leser erst einmal sehr ungewöhnlich sein dürfte, lesen sich ihre Ausführung eingängig und überraschend überzeugend.
Laut „BusinessWeek“ zählt McGonigal zu den weltweit zehn wichtigsten und innovativsten Entwicklerinnen. Sie arbeitete unter anderem für das Internationale Olympische Komitee, die Weltbank, die National Academy of Sciences und für McDonald's.
Literatur:
Jane McGonigal: Besser als die Wirklichkeit! Warum wir von Computerspielen profitieren und wie sie die Welt verändern, Heyne Verlag, 495 S., 19,99 Euro, ISBN-13 978-3-453-16781-0