Nokia streicht 10 000 Stellen
Espoo (dpa) - Der kriselnde Handy-Riese Nokia streicht 10 000 Arbeitsplätze, um seine Zukunft zu sichern. Damit fällt rund jede fünfte Stelle im Handy-Geschäft weg. Der Standort für Forschung und Entwicklung in Ulm mit 730 Mitarbeitern soll schon Ende September schließen.
Insgesamt werden die Jobs bis Ende 2013 abgebaut, wie das finnische Unternehmen am Donnerstag ankündigte. Die Aktie brach um mehr als 18 Prozent auf nur noch 1,82 Euro ein.
Deutschland bleibe ein sehr wichtiger Standort für Nokia, versicherte Konzernchef Stephen Elop in einer Telefonkonferenz. Er hob vor allem das Zentrum für ortsbezogene Dienste in Berlin hervor. Die Beschäftigten in Ulm arbeiteten aber an Projekten, die Nokia nicht mehr fortführen werde.
Der Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner (SPD) kritisierte die Schließung in seiner Stadt scharf. „Das ist ein großer Fehler“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Vor kurzem sei noch über Ausbaupläne gesprochen worden. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) reagierte bestürzt. „Das ist ein großer Verlust für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Ulm“, erklärte sie auf dpa-Anfrage.
Ortsbezogene Dienste sollen neben digitaler Fotografie und mobiler Navigation ein zukünftiger Schwerpunkt von Nokia werden. Elops Plan ist, den Fokus auf die neuen Smartphones der Marke Lumia und verwandte Angebote zu schärfen. Dafür gibt es Kürzungen in anderen Geschäftsbereichen. Nokia steckt in roten Zahlen fest und muss dringend die Kosten senken. Allein im ersten Quartal gab es einen gewaltigen Verlust von 929 Millionen Euro.
Jetzt sollen die jährlichen Einsparungen bei den operativen Ausgaben von einer auf drei Milliarden Euro hochgeschraubt werden. Von dem Milliardenziel seien im ersten Quartal bereits 700 Millionen Euro geschafft worden, sagte Elop. Zunächst wird der Stellenabbau aber rund eine Milliarde Euro an zusätzlichen Kosten verschlingen. Eine Zäsur ist die Schließung des traditionsreichen Werks Salo im Finnland. Allein in Nokias Heimatland sollen 3700 Jobs verschwinden.
Ein Sprecher von Nokia in Ulm sagte, die Entscheidung sei ein „harter, schwerer Schritt“. Die Mitarbeiter wurden am Morgen auf einer Betriebsversammlung informiert. Die zuständige Agentur für Arbeit will sich am Freitag mit Verantwortlichen von Nokia treffen, wie eine Sprecherin sagte. Die Schließung treffe den Arbeitsmarkt in Ulm hart, weil es bereits einige Einschläge wie die Schlecker-Pleite gegeben habe. Auch die angeschlagene Fiat-Tochter Iveco Magirus kündigte Einschnitte in Ulm an: Mit Verlegung der Lastwagenproduktion ins Ausland sollen 670 von 1070 Arbeitsplätzen wegfallen.
Nokia hatte zum Ende des ersten Quartals gut 122 000 Mitarbeiter im Konzern. Ohne den ebenfalls mit heftigen Problemen kämpfenden Netzwerk-Ausrüster Nokia Siemens Networks (NSN) waren es 53 500.
„Wir müssen nicht nur unsere finanzielle Lage verbessern, sondern auch langfristig die Zukunft von Nokia sichern“, erklärte Elop. Die Börsianer werteten die Rotstift-Aktion eher als Zeichen der Schwäche: Die Aktie verlor erst elf Prozent, dann mehr. Anfang 2008 hatte sie noch mehr als 25 Euro gekostet.
Mit der neuen Strategie wird auch das Führungsteam umgekrempelt. Es gehen Marketingchefin Jerri DeVard, Handy-Chefin Mary McDowell und Niklas Savander als Märkte-Zuständiger. Sie werden durch Nachfolger aus den eigenen Reihen ersetzt. So wird Chris Weber, der die Lumia-Markteinführung im Problemmarkt USA über die Bühne brachte, neuer Marketingchef.
Einige der nun zurückgetretenen Manager hatte Elop selbst im vergangenen Jahr befördert - doch offenbar konnten sie nicht die gewünschten Ergebnisse liefern. Nokia müsse sich mit „äußerster Eile und sehr aggressiv“ bewegen, erklärte der frühere Microsoft-Manager.
Nokia war lange Marktführer im Geschäft mit einfachen Handys und auch Computer-Telefonen, wurde aber von Apple mit seinem iPhone und vor allem Samsung überholt. Die Südkoreaner profitieren von ihrer breiten Modell-Palette und stießen Nokia zuletzt nach 14 Jahren vom Thron des weltgrößten Handy-Herstellers. Nokias Lumia-Smartphones mit dem Microsoft-Betriebssystem Windows Phone erwischten im Herbst 2011 einen mäßigen Start. Marktforscher sehen Windows im Smartphone-Geschäft immer noch bei rund zwei Prozent.
Zugleich senkte der Konzern den Ausblick für das zweite Quartal. Die Marge werde entgegen den Erwartungen noch tiefer als im ersten Vierteljahr in den roten Bereich absinken, hieß es. Das deutet auf einen weiteren hohen Verlust hin.
Den Edel-Handy-Hersteller Vertu - der extrem teuer verarbeitete, aber technisch nicht mehr so attraktive Mobiltelefone produziert - wurde nach langen Bemühungen an den europäischen Finanzinvestor EQT VI verkauft. Einen Preis nannte Nokia nicht.