Obdachloser hilft mit Internetseiten
Frankfurt/Main (dpa) - Fast zwei Drittel seines Lebens hat Helmut Richard Brox auf der Straße verbracht. Er lebt nach eigener Auskunft vom Betteln und von Tagelöhner-Diensten.
„Das ist kein Zuckerschlecken. Es gibt keine Verwöhnaromen“, sagt der 48-Jährige, der quer durch Deutschland unterwegs ist - gerne auch in Frankfurt. Dort gebe es gute Möglichkeiten, nachts in einem Heim unterzuschlüpfen, sagt er. Mit Obdachloseneinrichtungen kennt der Mann, der in einem Kinderheim aufwuchs, sich aus. Er hat eine Internetseite für Wohnungslose eingerichtet, die über sichere Schlafplätze informiert. Nach seinen Angaben sind 900 Adressen erfasst. Das hat ihm eine Nominierung für den Deutschen Engagementpreis eingebracht.
Am 5. Dezember wird der Preis in fünf Kategorien in Berlin vergeben. Brox weiß schon, dass er nicht zu den Siegern gehören wird. Die Nominierung hat ihn jedoch gefreut, mit Anerkennung ist er in seinem Leben bislang nicht verwöhnt worden. „Es ist egal, wo ich bin. Ich fühle mich als unerwünschte Person“, sagt der blonde Mann mit Brille und Bart. „Wenn ich diese Arbeit nicht hätte, wäre meine Lust am Leben dahin.“
„Diese Arbeit“, das ist sein Engagement für andere Obdachlose, drei Internetseiten von ihm gibt es mittlerweile im Netz. Seine erste heißt www.kurpfaelzer-wandersmann.de, so nennt er sich gerne selbst. Im November vor 13 Jahren hat er die Seite in Berlin in einem Internetcafé eingerichtet. Jungs, die er dort kennenlernte, brachten ihm bei, wie das geht. Fünf Jahre lang veröffentlichte er dort sein Tagebuch, mittlerweile sind www.suchthilfe-deutschland.de und www.ohnewohnung-wasnun.de dazugekommen. Auf dieser Seite veröffentlicht er die Adressen von Obdachlosenheimen, dazu schreibt er Infos wie Öffnungszeiten und spezielle Angebote. Auf die Idee hierzu war er vor acht Jahren gekommen, als er in einem kleinen Ort in Thüringen nach einer Übernachtungsmöglichkeit suchte - und auch im Internet keine Adressen fand.
Nach dem aktuellen Entwurf des Armutsberichts der Bundesregierung waren im Jahr 2010 in Deutschland etwa 248 000 Menschen wohnungslos. Wie viele Einrichtungen es für sie gibt, ist nicht bekannt. Und wer einen Platz in einem Heim ergattert, hat auch dann kein leichtes Leben. Brox berichtet von Schlägereien, Diebstählen und Vergewaltigungen in Obdachlosenheimen. „Da übernachten zwei bis zehn Menschen mit völlig verschiedenen Hintergründen in einem Zimmer - das gibt schnell Mord und Totschlag“, sagt er.
Die auf seiner Internetseite angegebenen Obdachlosenheime habe er fast alle selbst besucht und für annehmbar befunden. Etwa 1000 Mal täglich werde diese Seite angeklickt, außerdem erhalte er etliche Mails und Anrufe von Hilfesuchenden. Unter ihnen seien neben den „normalen“ Obdachlosen auch ehemalige Häftlinge, Deutsche nach einem Auslandsaufenthalt und Studenten auf Wohnungssuche, berichtet der Mann, dem sein Engagement auch die Bekanntschaft mit dem Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff einbrachte. Der hatte sich einst für die Obdachlosen-Reportage „Unter Null“ selbst auf der Straße umgetan.
Mittlerweile sieht Brox sich auch als eine Art Seelsorger. Er bekomme oft mitten in der Nacht Anrufe von verzweifelten Menschen kurz die vor dem Suizid stünden, sagt er. „Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin eine 110-Nummer.“ Er tröste, verweise an die zuständigen Stellen weiter und alarmiere auch schon mal die Polizei.