Online-Experimente wollen digitalen Journalismus umkrempeln
Berlin (dpa) - Wie soll der Journalismus der Zukunft aussehen? Neue Online-Projekte geben unterschiedliche Antworten. Gemeinsam ist ihnen die Experimentierfreude - und das Ikea-Regal im Büro.
Viele schauen gespannt auf die US-Webseite Buzzfeed, die nach Deutschland drängt. Doch auch hierzulande gibt es viele Projekte, die den Medienbetrieb im Internet verändern wollen. Dazu setzen sie auf neue Ideen für Geschichten und Geschäft.
Eine dieser Ideen wird in einem unscheinbaren Backsteinhaus in Berlin-Mitte verfolgt. Draußen schiebt ein älterer Herr einen Rollator vorbei, über die Baumkronen ist der Fernsehturm am Alexanderplatz zu sehen. Hier recherchiert Correctiv, eine Webseite, die sich das Aufdecken von Skandalen zum Ziel gesetzt hat.
Enthüllen wollen auch viele traditionelle Medien. Doch Correctiv arbeitet anders. Hier spielen elektronische Daten eine große Rolle. Correctiv sammelte für seine erste Geschichte Informationen darüber, wie deutsche Gerichte Bußgelder verteilen. Wohin die Gelder in Millionenhöhe fließen, ist weitgehend undurchsichtig, schreiben die Reporter.
Ihre Informationen sind in einer Datenbank gesammelt, die jeder online durchsuchen kann. Hier sollen andere Journalisten und Bürger nach Ungereimheiten in ihrer Gegend stöbern. „Die Datenbank selber ist die Geschichte“, sagt Correctiv-Geschäftsführer David Schraven.
Lokale Medien können sich so eine aufwendige, teure und technisch anspruchsvolle Recherche oft nicht mehr leisten. „Man braucht unglaublich viel Ressourcen, um das zu machen“, sagt Schraven. Früher arbeitete er bei einem Printriesen: Er leitete das Recherche-Ressort der Funke-Mediengruppe („WAZ“), bevor er Correctiv mitgründete.
Auf die Frage nach den Ressourcen gibt Correctiv eine ungewöhnliche Antwort: Das Unterfangen ist gemeinnützig. Für die ersten drei Jahre unterstützt die Brost-Stiftung das Projekt mit drei Millionen Euro, später sollen Mitgliedsbeiträge von Einzelpersonen hinzukommen.
Correctiv gehört zu einer Reihe von Projekten, die den digitalen Journalismus umkrempeln wollen. Sie wagen Experimente bei Geschichten und beim Geldverdienen. Und sie gehören nicht zu den klassischen Verlagen, die bisher die Medienlandschaft bestimmen.
Da gibt es die Krautreporter, die in einer aufsehenerregenden Kampagne mehr als 900 000 Euro von Unterstützern eingesammelt haben. Mit Correctiv haben sie neben der unkonventionellen Finanzierung auch die Ikea-Regale im Büro gemeinsam. In ihren Kreuzberger Räumen werkeln sie an ihrer Webseite. Die knapp 18 000 Unterstützer der ersten Stunde sollen bis Ende September Zugang zu Kommentarfunktionen bekommen, bald sollen erste Artikel veröffentlicht werden.
Journalisten müssten die Veränderungen in der Medienwelt selbst in die Hand nehmen, glaubt Krautreporter-Mitgründer Sebastian Esser. „Unserer Chance ist nicht, dass wir so viel klüger wären“, sagt er. „Unser Vorteil ist, dass wir schneller sein können, weil wir nicht an bestehenden Strukturen hängen.“
Die größte Bewährungsprobe haben die Krautreporter dabei noch vor sich: In einem Jahr wird sich zeigen, ob sie genug Unterstützer überzeugen können, ihr Abo zu verlängern. „Wir müssen jetzt erstmal beweisen, dass wir das auch können“, sagt Esser über die Pläne.
Die Krautreporter und Correctiv bauen auf die Unterstützung von Menschen, denen interessante Geschichten und die Aufklärung von Missständen wichtig sind. Eine feste Zielgruppe hat auch Edition F im Auge: Das Wirtschaftsmagazin fürs Netz richtet sich an junge, berufstätige Frauen. „Sobald es um Karriere und Wirtschaftsthemen geht, richten sich die Medien sehr stark an Männer“, sagt Mitgründerin Susann Hoffmann. Diese Lücke wollen Hoffmann und Mitgründerin Nora-Vanessa Wohlert füllen.
Beide Gründerinnen stammen aus der Berliner Start-up-Szene und haben auch ihre Webseite wie ein Start-up aufgebaut. Geld bekamen sie von privaten Geldgebern, sogenannten Business Angels. Edition F wollen sie zur Lifestyle-Plattform ausbauen, inklusive Jobbörse, Unternehmensprofilen und Mode-Tipps mit den Links zum Einkaufen. Angst vor dem Sprung ins kalte Wasser hatten die Gründerinnen nicht: „Wir sind sehr überzeugt von dieser Idee.“
Kann man angesichts so vieler neuer Ideen von einer Gründungswelle sprechen? Stefan Plöchinger, in der Chefredaktion der „Süddeutschen Zeitung“ für Digitales zuständig, ist skeptisch. „Ich sehe eher, dass das Netz als ganz normales Medium stetig mit neuen Experimenten durchwoben wird.“ Auch viele Verlage entwickelten sich weiter und veränderten ihre Erzählformen. Die Medienhäuser dürften nicht unbeweglich werden: „Wir brauchen die Lernfähigkeit der Verlage.“ Auch deswegen werde den digitalen Experimenten so viel Aufmerksamkeit geschenkt. „Wir sind einfach als Branche inzwischen sehr daran interessiert, was auch noch funktionieren kann.“