„Rechnende Schrankwand“ - DDR-Computer werden zur Rarität
Halle (dpa) - Der neuste Museumsbewohner wiegt anderthalb Tonnen, kam im Jahr 1988 auf die Welt und hört auf den Namen Robotron K 1840. Es ist ein Superminicomputer aus der Produktion des gleichnamigen einstigen DDR-Marktführers.
Der Name irritiert, denn das Gerät ist ziemlich groß. „Eine rechnende Schrankwand“, sagt Sebastian Czech. Er ist stolz auf K 1840, der aus dem VEB Robotron-Elektronik Dresden stammt. „Weltweit gibt es nur noch vier“, sagt er. „Einer steht in den USA und einer bei uns.“
Wenn der drahtige Mann mit Zopf und Brille „bei uns“ sagt, dann meint er das „Rechenwerk“, ein Computermuseum in Halle, in dem historische ostdeutsche Rechentechnik einen Altersruhesitz gefunden hat. Betreut und aufgepäppelt wird sie von Czech und seinen Mitstreitern von der Digital Computer- und Elektronik Arbeitsgemeinschaft, kurz Digital AG.
Nach mehreren Stationen hat das „Rechenwerk“ im November 2014 in einem ehemaligen Supermarkt mit viel unsichtbarer Sicherheitstechnik eröffnet. „Das weckt hier schon Begehrlichkeiten“, sagt Czech. Wer sich die Nase zunächst an den Schaufensterscheiben platt drückt, erblickt ein Chaos aus mehr als 2000 Schreib- und Rechenmaschinen, Fernschreibern, Telefonen, Abrechnungs- und Buchungsautomaten, PCs, Modulen und Anlagenfragmenten. Doch im Chaos herrscht Ordnung - noch. „Eine Etage mehr wäre wirklich nicht schlecht“, sagt Czech und lacht.
Fast jeder Zentimeter in der 600 Quadratmeter großen Halle wird genutzt. Schmale Gänge lotsen den Besucher durch die Systeme und ihre sperrigen, klobigen Vertreter. An manchen kleben kleine Schilder mit Erklärungen. „Alles echte Saurier“, sagt Czech und wird nicht müde zu fragen, ob er dieses oder jenes mal anschalten soll. „Das kann man auch hochfahren“, ist wohl einer seiner meistgesagten Sätze. Kaum ausgesprochen, daddelt er auch schon an einem Exemplar des Spielautomaten Polyplay.
Der etwa zwei Meter hohe Kasten kam 1985 auf den Markt, initiiert vom Ministerium für Staatssicherheit. „Ich will jetzt nicht über dessen Beweggründe spekulieren“, sagt Czech und schmunzelt. Dann bückt er sich, um 50 Pfennig für eine neue Runde einzuwerfen. Die Lichtorgel macht Spektakel. „In den FDGB-Ferienheimen standen die Leute dafür Schlange.“ Er schätzt, dass bis 1990 etwa 2000 Polyplays vom VEB Polytechnik Karl-Marx-Stadt gebaut und vom „Staatszirkus der DDR, Fachgebiet Spielwesen“ zugelassen wurden. Ein Teil der Technik wurde schon für Filmdrehs verliehen.
Hinter den Kulissen findet immer ein reger Austausch statt - auch mit Arthur Wehlisch (74) vom Luftfahrt- und Technik-Museumspark Merseburg. Der ehemalige Robotron-Spezialtechniker betreut in seiner Freizeit die Merseburger Dauerausstellung zur Schreib-, Druck- und Rechentechnik. „Die Jugend hat keine Vorstellung, wie das überhaupt mal war“, sagt er. Museen wie das „Rechenwerk“ seien wichtig.
Gut die Hälfte der teilweise unter Lebensgefahr aus Ruinen geborgenen Exponate im „Rechenwerk“ ist funktionstüchtig. Vieles war verschimmelt, vergammelt, verrostet. In der heutigen Welt der lautlosen Wischtechnik muten ihre Töne und Klänge sonderbar an. Es rattert, knackt und knarzt - für Czech ist das wie Musik. Doch es sind nicht nur die Ohren, die im „Rechenwerk“ auf ihre Kosten kommen. Ein Rundgang ist auch haptisches Erleben. „Es ergibt ja keinen Sinn, wenn wir das alles hinter Glas stellen würden.“
Im Fundus des Museums befinden sich der einzige Normalpapierkopierer aus DDR-Produktion, der Personal Computer Robotron 1715, die Buchungsmaschine Ascota 170/45 TM20 und das Prozessleitsystem Audatec, von dem es weltweit noch vier Anlagen gibt. „Die DDR hatte eine extreme Fertigungstiefe“, sagt Czech. „Noch heute läuft hier und da DDR-Technik mit Steuerfunktion. Man glaubt es kaum.“