Virtuelle Realität: Per Brille in fremde Welten

Berlin (dpa/tmn) - Regelrechtes Abtauchen in digitale Welten ist ein Traum seit den ersten Computerspielen. Doch bisherige Versuche schlugen fehl. Nun kündigt sich eine neue Generation von Virtual-Reality-Brillen an.

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Virtual-Reality-Brillen werden meist mit Spielen in Verbindung gebracht. Doch auch in anderen Bereichen lassen sich die blickdichten Brillen nutzen, die virtuelle Realität (VR) auf Displays direkt vor den Augen abbilden. „VR-Brillen lassen sich überall einsetzen, wo Anwender in eine virtuelle Umgebung eintauchen sollen“, erklärt Hartmut Gieselmann vom Computermagazin „c't“. „Im Bereich der Architektur und der Entwicklung von Autos sowie beim Militär sind sie schon lange im Einsatz.“ Aber auch für das ablenkungsfreie Erleben von HD- oder 3D-Filmen kommen die geschlossenen Brillen infrage.

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Damit unterscheiden sich VR-Brillen von Datenbrillen wie Google Glass, bei denen es eher um erweiterte Realität (Augmented Reality oder AR) geht, die Überlagerung der Live-Sicht mit kontextabhängigen Informationen oder Bildern. Es gibt auch Brillen wie die offene Epson Moverio, die sowohl VR- als auch AR-Nutzung vorsehen.

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VR-Brillen sind nicht wirklich neu. Schon in den 60er Jahren wurde mit Prototypen experimentiert und seit den 80ern werden VR-Brillen in Simulatoren eingesetzt - etwa beim Militär. Aus diesem Bereich kommt auch Palmer Luckey, der Erfinder der Oculus Rift. Diese VR-Brille wurde durch eine Crowdfunding-Kampagne berühmt und löste einen regelrechten Hype aus. Und seit der spektakulären Übernahme durch Facebook im März 2014 ist Oculus Rift weltweit ein Begriff.

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Doch was will ein Soziales Netzwerk damit? Das fragt sich auch Maic Masuch, Computerspiel-Professor und VR-Forscher an der Universität Duisburg-Essen. „VR bedeutet erst einmal soziale Ausgrenzung: Wer so eine Brille samt Kopfhörern trägt, kapselt sich von seiner Umwelt ab“, sagt Masuch. Eine sinnvolle Einbindung bei Facebook dränge sich nicht auf. „Allerdings ist VR ein großer Wachstumsmarkt, der Facebook ermöglicht, in eine Nische zu stoßen, die bisher kaum besetzt ist.“

Tatsächlich hat Luckeys Firma Oculus VR bisher nur einen großen Konkurrenten: Sony. Die Japaner stellten im März ebenfalls eine VR-Brille mit dem Projektnamen Morpheus vor. Dafür griffen sie auf eine erfolglose und eingestelle Brille aus 2011 zurück. Nun soll Morpheus vor allem als Zubehör für die Playstation 4 Käufer finden.

„Grundsätzlich sind die Brillen kaum mehr als ein Display, wie man es von Tablets kennt, das zusammen mit einem Bewegungssensor vor eine Ski-Brille geklebt wird“, erklärt Gieselmann. Sie ließen sich günstig in großen Mengen bauen. Allerdings benötigten die Brillen starke Rechner, weil VR-Spiele und -Programme eine deutlich höhere Bildwiederholrate brauchen als herkömmliche Videospiele.

Bieten die neuen Brillen ein regelrechtes Abtauchen in digitale Welten? Nein, meint Prof. Masuch. „Die Brillen allein schaffen noch keine Avatar-Erfahrung.“ Der Träger empfinde keine Entkörperlichung, solange die Augen etwas anderes sehen als der Körper spürt. „Für ein völliges Abtauchen wäre eine weitere Stimulation des Körpers nötig.“

Für einige Spieler kann indes Übelkeit zum Problem werden. Nintendo machte diese Erfahrung bereits 1995 beim Virtual Boy, einer VR-Konsole mit schwarz-rotem 3D-Bild und niedriger Auflösung. Die Technik hat sich seither zwar erheblich verbessert: Brillendisplays füllen das gesamte Sichtfeld aus und Sensoren ermitteln Kopfbewegungen. Trotzdem gilt weiterhin: „Bei VR-Brillen wird die Körpereigenempfindung gestört“, sagt Masuch. „Den Augen werden andere Bewegungen vermittelt, als der Körper empfindet - das stört den Gleichgewichtssinn.“

Der unerwünschte Effekt verringert sich Masuch zufolge aber mit dem Reifegrad der Technik: Je kürzer die Verzögerungen zwischen den Kopfbewegungen des Trägers und ihrer Umsetzung in die Bilder im Brillendisplay, desto geringer das Unwohlsein. Grundsätzlich stelle das virtuelle Erlebnis „die Probleme in den Schatten“, sagt der Professor. „Es hebt Spiele auf eine neue Ebene.“

Hartmut Gieselmann sieht das anders: „Ich halte es für am wahrscheinlichsten, dass es sich ähnlich entwickelt wie bei den 3D-Fernsehern: Erst wird es einen Hype geben, dann merken viele, dass sie es nicht vertragen, und schließlich wird eine überschaubare Fan-Gemeinde übrig bleiben, die sich eine stabile Nische einrichtet.“

Wann die Display-Brillen Sony Morpheus und Oculus Rift auf den Markt kommen, ist noch unklar. Eine Reihe weiterer Anbieter setzt auf ein Konzept, bei dem ein vorhandenes Smartphone als Display in die Brille eingelegt wird. Dazu zählt Gerüchten zufolge etwa Samsung. Das deutsche Unternehmen Durovis verkauft bereits eine Brille namens Dive. Und Google zeigte jüngst das Bastel-Pappmodell Cardboard.