Startups und Künstler: Die CeBIT erfindet sich neu
Hannover (dpa) - Nadelstreifen und Visitenkarten: Die Computermesse in Hannover ist eine ziemlich konservative Veranstaltung. Da kommt eine Verjüngungskur gerade recht: Die CeBIT-Sonderschau „Code_n“ will den „Code für das Neue“ bestimmen.
Ein frischer Wind weht durch die CeBIT-Halle 16. Für das künstlerische Konzept der Sonderschau „Code_n“ mussten einige Lampen abgeschaltet werden, was das Wärmekonzept der Halle verändert hat. Frisch sind auch die Ideen auf dieser „Logistikplattform für kreative neue Geschäftsmodelle“, wie der Vorstandsvorsitzender der GFT Technologies AG, Ulrich Dietz, das etwas andere Messeforum nennt. Hier stellen 50 junge Internet-Unternehmen aus neun Ländern ihre Projekte vor.
„Die wahrscheinlich innovativste Branche präsentiert sich auf der CeBIT sehr traditionell“, merkt der Hauptgeschäftsführer des IT-Verbands Bitkom, Bernhard Rohleder, an. Mit Blick auf die Schlipsträger im feinen Nadelstreifenzwirn fügt er hinzu: „Code_n ist eine gute Chance, aus dieser Schleife herauszukommen.“
Ohne Visitenkarten und Anzug kommen die Macher des Projekts „Map My Story“ aus, das vom Logentheater Berlin entwickelt wurde und in Hannover eine Internet-Plattform für interaktive Geschichten vorstellt. „Die Welt ist voller Geschichten“, sagt die Dramaturgin Carola Dürr. „Bei uns sind die Geschichten verortet.“ Wie bei Twitter sollen die Nutzer den Geschichten und ihren Erzählern folgen, an andere Orte gelangen und dort den Handlungsstrang weiterführen. „Es geht nicht nur um Lektüre, sondern auch ums Spiel in einer eigenen Erlebniswelt“, erklärt Dürr. Zurzeit wird eine App für Smartphones und Tablet-Computer entwickelt. Der Start ist für Herbst geplant.
„Es muss in der Zukunft ganz neue Geschäftsmodelle geben“, sagt Dietz als Initiator von „Code_n“. Und da könnten kleine Unternehmen ebenso wie große Konzerne von den Startup-Firmen lernen. Startups setzen Trends, sie inspirieren zu Innovationen. Und sind auch bei Platzhirschen der Branche gern gesehen. Microsoft-Geschäftsführer Ralph Haupter holt für seine CeBIT-Präsentation einen Startup-Gründer auf die Bühne: Christian Reber von den 6Wunderkindern in Berlin zeigt, wie der Aufgabenplaner Wunderlist nun auch auf Windows-Smartphones läuft.
Seit dem Mittelalter waren Messen zentrale Orte für Kaufleute, ihre Waren auszustellen. Das kann heute das Internet besser. So müssen sich die Messeveranstalter neu erfinden, die Schau zu einem Ort der Vernetzung mit besonderem Event-Charakter machen. CeBIT-Chef Frank Pörschmann betont: „Wir müssen einen Mehrwert und einen Nutzen für die Industrie bieten.“
Kontakte und vor allem Investoren verspricht sich Wladimir Ufnarowsky aus St. Petersburg vom Auftritt bei „Code_n“. Sein im Herbst 2011 gegründetes Unternehmen CVS (Computer Visions Systems) will einen Chip für die Gestensteuerung von Internet-Fernsehern entwickeln. Jens Schick vom CVS-Partner 3Vi in Herrenberg erklärt, wie eine intelligente Software mit einfachen Web-Kameras sowie Bewegungssensoren zur Erfassung von räumlicher Tiefe für Gestensteuerung, einen virtuellen Touchscreen oder das „Smart Home“ genutzt werden können.
Eine neue Form von Car-Sharing haben die vier Gründer von Carzapp entwickelt. „Unsere Hardware-Lösung wird ins Auto eingebaut und ermöglicht eine schlüssellose Übergabe des Autos“, erklärt einer der vier Gründer, der 27-jährige Oliver Luenstedt. „Der Nutzer reserviert das Auto über eine App und kann das Auto mit dem Smartphone öffnen.“ Ein integriertes GPS-Modul ermöglicht es, den jeweiligen Standort des Autos zu erkennen, eine Versicherung soll den Vermieter vor allen denkbaren Pannen schützen. Die Carzapp-Jungs - das Unternehmen soll im Mai gegründet werden - sehen ihr Projekt auch als Beitrag für eine sinnvollere Verkehrsgestaltung: „Wir haben 40 Millionen Autos in Deutschland. Warum fangen wir nicht damit an, die miteinander zu vernetzen?“
Neue Wege ist die Messe auch bei der Gestaltung der Halle gegangen. „Wir sind da wie Hausbesetzer hereingegangen“, sagte Installationskünstler Tobias Rehberger. Er hat Wände neu gestrichen, Löcher mit der Säge herausgeschnitten und Linien mit der Spraydose gezogen. Sein Ziel sei es gewesen, eine andere Raumstruktur zu schaffen „als diese Wände, die ja eigentlich eher trennend sind. Da hockt sonst nur jeder in seinem Kästchen und kocht sein eigenes Süppchen.“ Auch der ebenfalls mit der Gestaltung beauftragte Architekt Jürgen Mayer H. kritisiert „extrem festgefahrene Situationen wie Messestände“ und erwartet ein zunehmende Verschmelzung von digitalen und realen Welten zu neuen Orten der Kommunikation.