Historische Verschlüsselung Well done: England knackt Enigma-Code
Paderborn (dpa) - Es klingt wie im Maschinenraum eines U-Bootes. Mechanisches Klackern hallt durch den Raum, Scheiben drehen sich. Im Bletchley Park, 70 Kilometer nordwestlich von London, rattert die sogenannte „Turing-Bombe“ vor sich hin.
In einem historischen Versuch rechnet die historische Entschlüsselungsmaschine über 17.000 mögliche Buchstabenkombinationen durch. Das dauert mehrere Stunden.
Die Aufgabe kam per Funk von der anderen Seite des Ärmelkanals aus Paderborn. Im Heinz Nixdorf MuseumsForum (HNF) hat die „Enigma“, die deutsche Standard-Maschine für Verschlüsselungen im Zweiten Weltkrieg, mehrere Funksprüche dechiffriert. Amateurfunker Matthias Neuß morste einen ersten Satz gegen 9.30 Uhr in die Welt. Konzentriert sitzt er im dunklen Pulli und weißem Hemd vor seinem Funkgerät. Auf den Ohren sitzt ein Kopfhörer, die rechte Hand schwebt über der Morsetaste. Der Funker macht seinen Job - und morst. Dabei übermittelt er im Wechsel kurze und lange Signale, die im Morsealphabet je nach Zusammensetzung für einen anderen Buchstaben stehen.
Schon nach wenigen Minuten ist klar. Die Bedingungen sind gut. Funker aus England haben den Empfang bestätigt. Je nach Sonnenstand und Bedingungen in der Atmosphäre werden die Funkwellen zurück auf die Erde reflektiert. „Je nach Winkel kann es passieren, dass auch mal nix ankommt, wo was ankommen soll“, erklärt Museums-Sprecher Andreas Stolte.
Neuß' Aufgabe, das Versenden der Funksprüche per Morse-Alphabet, ist dabei der einfachste Teil des Spektakels. Museumschef Jochen Viehoff hält mehre Umschläge in der Hand. Darin stecken verschlüsselte Funksprüche. Die hat die frisch renovierte 75 Jahre alte „Enigma“ ausgespuckt. Das Eintippen der Buchstaben funktioniert ähnlich wie bei einer Schreibmaschine. Das kleine und kompakte Gerät zählte im Zweiten Weltkrieg zur Standard-Ausrüstung in deutschen Panzern, U-Booten und Kriegsschiffen.
Mit diesem Experiment wollten Technik-, Funk- und Computerfreunde am Freitag erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg nachstellen, was Alan Turing mit seinem Team bereits 1941 gelang. Die Engländer knackten den Enigma-Code und konnten so, unbemerkt vom Kriegsgegner, jahrelang die Funksprüche abfangen und zu ihrem Vorteil nutzen. Auf dem Landsitz in Bletchley Park sitzt heute das britische Computermuseum, vergleichbar mit dem HNF in Paderborn.
Die britische Dechiffrierzentrale war im Zweiten Weltkrieg und auch noch Jahrzehnte danach eines der großen Geheimnisse des britischen Geheimdienstes. 2015 gab es für den Film „The Imitation Game“ über Turing mit Benedict Cumberbatch und Keira Knightley in den Hauptrollen einen Oscar. Bletchley Park wurde so auch deiner größeren Öffentlichkeit bekannt.
Das Knifflige an Enigma: Jeder Buchstabe wurde durch eine komplexe Mechanik anders verschlüsselt. Und das jeden Tag neu. Beispielsweise hatte der Name „Otto“ verschlüsselt nicht zwei andere, aber gleiche Buchstaben, sondern vier unterschiedliche. Das machte die Lösung extrem schwierig. Aber es gab einen Hebel, wie Museumsleiter Viehoff vor dem Experiment erklärte. „Jeden Morgen mussten die deutschen Kriegsschiffe vom Atlantik strategisch unwichtige Funksprüche wie den Wetterbericht senden. Damit hatten dann die Entschlüsselungsexperten in Bletchley Park anhand der Standardwörter wie Wetterbericht einen Ansatz, um jeweils tagesaktuelle Verschlüsselung für einzelne Buchstaben-Kombinationen zu knacken“, sagt Viehoff.
Den Durchbruch vermeldeten die Kryptoexperten aus England um 13.57 Uhr per Twitter. Der erste verschlüsselte und geknackte Spruch lautete: „Paderborn grüßt die Enigma-Codebrecher in Bletchley Park.“ Viehoff schickte per Video ein begeistertes „Well done“ über den Ärmelkanal.