Strategien und Tipps Wenn man Opfer eines Cyber-Angriffs wird
Bonn (dpa) - Nichts geht mehr. „Oops, your files have been encrypted!“ steht in dem Fenster, das sich auf dem Bildschirm öffnet. Übersetzt: Die Daten auf dem Rechner wurden verschlüsselt. Man kommt nicht mehr an sie ran.
„Oops“ klingt wie ein Unfall - in Wahrheit steckt dahinter aber kalte Kriminalität.
Denn wer weiter liest, erhält in gönnerhaftem Ton eine vermeintliche Lösung für das Problem: 300 Dollar, zu zahlen in der Digitalwährung Bitcoin. Aber flugs, denn nach sieben Tagen sind alle Dateien weg. Für immer. So fühlt es sich an, wenn man Opfer eines Cyber-Angriffs mit Erpressungssoftware - sogenannter Ransomware - wird.
Die Programme befallen den Rechner, blockieren Daten und fordern für sie Lösegeld. So etwa wie im Mai bei der WannaCry-Attacke, bei der mehr als 300 000 Computer in 150 Ländern infiziert wurden. Oder wie jüngst in Russland und der Ukraine, als der Erpressungstrojaner BadRabbit ersten Ermittlungen zufolge unter anderem die Kiewer Metro heimsuchte.
„Im Prinzip werden die Daten als Geisel genommen“, erklärt Michael Meier, Leiter der Abteilung Cyber Security des Fraunhofer-Instituts in Bonn. Er will zeigen, wie das konkret aussehen kann und hat sich daher für den Workshop eines Versicherers gegen Cyber-Angriffe das aufpoppende Fenster mit der 300-Dollar-Forderung ausgedacht. Es ist ein Rollenspiel. Theoretisch dürften viele Firmen und private Computerbesitzer von der Trojaner-Gefahr wissen. Aber praktisch?
Das Szenario, das Meier entwirft, ist ein Zeitschriftenverlag. Am späten Nachmittag muss das Heft fertig sein, um rechtzeitig gedruckt zu werden. Mitten rein grätscht der Trojaner. Er blockiert die Daten, in denen die geplante Titel-Geschichte steckt und legt auch die Homepage der Zeitschrift lahm, weshalb bald erboste Nachfragen via Twitter auf die Redaktion einprasseln. Die Uhr tickt.
Es gibt mehr Fragen als Antworten. Kann die IT-Abteilung was machen? „Wir haben auch keine Ahnung, wo die Schadsoftware sitzt“, blafft ein fiktiver Techniker am Telefon. Gibt es ein Backup? Ja, aber das stamme aus der Nacht und brauche Stunden, um neu aufgespielt zu werden. Ohne den Abteilungsleiter - den er aber nicht erreiche - könne er das auch gar nicht entscheiden. Und im Übrigen sei das auch ein ganz schlechter Zeitpunkt. Man migriere gerade die E-Mail-Konten.
Wer sich mal ein bisschen in deutschen Firmen bewegt hat, dürfte solche Gespräche nachvollziehen können. Es gibt keine Notfallkette für einen Fall, der noch nicht da war. Die Verantwortlichkeiten bleiben unklar. Es fehlt an Kompetenz. Sollte man womöglich sogar die 300 Dollar zahlen? Aber wie kommt man um Himmels willen an Bitcoins? Sollte man die Polizei rufen? Aber nicht, dass die die Server einkassieren! Unterdessen droht der Chef, der von der Materie auch keine Ahnung hat, dass sein Sohn gleich eine Stellungnahme auf Twitter schreibe, wenn die Belegschaft dazu nicht in der Lage sei.
Beim Bundeskriminalamt (BKA) wurden im vergangenen Jahr 972 Fälle solcher digitaler Erpressungen gemeldet - ein Anstieg von 94,4 Prozent gegenüber 2015. Neu sei das Phänomen zwar nicht, sagt BKA-Cyber-Experte Heiko Löhr. Aber seit Mitte 2015 erlebe es eine „bislang nicht da gewesene Renaissance“. Ein großes Problem sei, dass die Programme mittlerweile für jeden im Netz erhältlich seien. „Ohne jegliche IT-Expertise kann jedermann über eine solche Plattform maßgeschneidert oder holzschnittartig das, was angeboten wird, einkaufen, anmieten und entsprechend einsetzen.“
Die Sensibilität für das Thema Cybercrime wächst zugleich langsam. „Zurzeit erhalten wir verstärkt Anfragen für Versicherungsschutz aus dem Gesundheitswesen, von Herstellern, Händlern, aber auch aus dem Gastgewerbe“, sagt Ole Sieverding vom Versicherer Hiscox, der auf diesem Feld aktiv ist. Viele seien Mittelständler.
Workshop-Leiter Meier hat ein paar einfache Tipps für den Ernstfall. Bei einer gerade aktiven Software: Rechner abschalten. Sich im Internet und bei Spezialisten informieren. Und auf Backups setzen.