Zu schön, um wahr zu sein - Realfakes im Internet
Berlin (dpa) - Am Anfang war Kai der perfekte Mann. Er war klug, aufmerksam, sah gut aus und schickte auch ohne Anlass Geschenke. Die Internet-Liebe von Victoria Schwartz schien zu schön, um wahr zu sein.
So war es auch: Denn hinter Kai steckte eine Frau. Schwartz war auf eine perfekt inszenierte Täuschung im Netz reingefallen.
Die Hamburgerin verwendet dafür den Begriff Realfake. Sie machte den Fall öffentlich, sprach bei „Stern TV“ darüber und berät inzwischen andere Betroffene. Nun ist ihr Buch „Wie meine Internet-Liebe zum Albtraum wurde“ bei Blanvalet erschienen. Darin wird deutlich: Solche digitalen Fantasiefiguren sind oft so geschickt gemacht, dass sogar Internetprofis lange keinen Verdacht schöpfen.
Und: Bei diesem Typ Fälschung geht es nicht um Geld - anders als etwa bei jüngsten Vorwürfen gegen einige Dating-Plattformen, Profile angeblicher Frauen erstellt zu haben, um Nutzer zu bezahlpflichtigen Kontakten zu bewegen. „Ein Realfake will Gefühle wecken, echte Emotionen hervorrufen und genießt die positive Zuwendung und Aufmerksamkeit, die ihm entgegengebracht wird“, erklärt Autorin Schwartz. Geld oder Nacktfotos verlangte die Person hinter Kai nie - stattdessen bekam Schwartz teure Geschenke. Natürlich nur per Post.
Einen Verdacht, dass mit ihrer Internetliebe etwas nicht stimmt, hatte die Hamburgerin, als sie Kai in seiner angeblichen Heimatstadt besuchen wollte - und den Namen nicht auf der Klingel fand. Einen Beweis, dass ihr Geliebter sich nicht wie behauptet in Deutschland aufhielt, lieferte schließlich ein Foto, das er ihr schickte: Darauf waren im Hintergrund amerikanische Steckdosen zu erkennen.
Das ganze Ausmaß des Betruges erfuhr Schwartz erst später: Die Fotos des attraktiven Surfers waren tatsächlich die eines Amerikaners - die Bilder hatte allerdings jemand von dessen Profil geklaut. Auch der angeblich beste Freund von Kai oder seine Geschwister - hinter all den Profilen steckte eine einzige Person: eine Psychologin aus den USA. Sie fühlte sich, so erzählte sie es zumindest einem „Neon“-Journalisten, zu Frauen hingezogen. Die homophoben Südstaaten zwangen sie demnach aber, ihre Neigung auf diesem Wege auszuleben.
„Ich würde nicht sagen, dass das aus purer Boshaftigkeit passiert“, sagt Andreas Schmitz von der Uni Bonn zu dem Phänomen. Der Soziologe hat das Ausmaß von Täuschungen auf Singlebörsen im Internet analysiert. Hintergrund sei wie im beschriebenen Fall häufig „das Auseinanderdriften von Wunsch und Möglichkeit“.
Unter Umständen lebten Internet-Betrüger über falsche Identitäten auch verschiedene Facetten ihrer Persönlichkeit aus. Eine Rolle könne aber auch die Macht spielen, die sie über ihre Opfer hätten. „Das kann für die Person eine psychische Befriedigung bedeuten.“
In einigen Fällen, so erzählt Schwartz, hätten Opfer den Betrug trotz Hinweisen darauf jahrelang mitgemacht. Soziologe Schmitz erklärt das so: „Wenn Sie an einem Auto zehn Jahre rumgeschraubt haben, wollen Sie es auch nicht weggeben.“ Opfer hätten dann das Gefühl, zu viel Zeit und Gefühle investiert zu haben, um den Kontakt abzubrechen.
Ähnlich beschreibt das die 21-jährige Jenny Bachmann (Name geändert) aus Thüringen. Sie hatte jahrelang Kontakt mit einem Fake. „Ich hatte mich ihm mehr geöffnet als anderen Menschen in der Realität“, sagt sie. „Der ganze Schmerz wäre umsonst gewesen, der einem zugefügt wurde.“ Schmerz deswegen: Die Betrüger enttäuschen ihre Opfer immer wieder - denn zu einem Treffen in der realen Welt kommt es ja nie.
Bachmann verglich irgendwann IP-Adressen, reiste an den angeblichen Wohnort und forschte nach. Inzwischen ist sie sicher: Hinter dem Männer-Profil steckte eine junge Frau aus Mecklenburg-Vorpommern.
„Zwar ist die vorgetäuschte Existenz einer Person ein uraltes Phänomen“, schreibt Internet-Visionär Sascha Lobo in einem Vorwort zu Schwartz' Buch. Denn tatsächlich gibt diese Form von Fakes im Internet schon lange. „Aber das Netz und speziell die sozialen Medien haben es sehr einfach gemacht, Fantasiefiguren zu erschaffen.“ Zugleich sei es Normalität geworden, sich online zu verlieben.
„Der Liebeskummer, der dadurch entsteht, ist natürlich echt“, erklärt Autorin Schwartz. „Das Problem ist, dass man in vielen Fällen nicht abschließend klären kann, dass die Person nicht echt ist.“
Einen endgültigen Beweis für die Täuschung hat auch die junge Frau aus Thüringen nicht. Auch deswegen, so sagt sie, fällt es ihr schwer, loszulassen. Die 21-Jährige macht nun eine Therapie. „Ich muss das aufarbeiten“, sagt sie. „Ich würde mir immer noch wünschen, dass sie es zugibt und mir sagt, warum. Auch wenn es eine harte Wahrheit ist.“
Literatur:
Victoria Schwartz: Wie meine Internet-Liebe zum Albtraum wurde, Blanvalet Verlag, München, ISBN-13: