Apostolisches Schreiben vom Papst: Das Heilige im Schmutz des Alltags
In seinem dritten Apostolischen Schreiben widmet sich Papst Franziskus der Heiligkeit — und holt sie dahin, wo sie hingehört: mitten ins Leben.
Düsseldorf. „Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche/katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen.“ Wer wäre bei diesen Worten des Glaubensbekenntnisses nicht schon mal innerlich zusammengezuckt? Die Kirche eine Gemeinschaft der Heiligen — also womöglich jeder Einzelne in den Kirchenbänken? Mit der umgangssprachlichen Verwendung des Wortes verträgt sich das kaum: Oft verbinden sich damit Vorstellungen von unerreichbaren Glaubensvorbildern, makellos und unfehlbar. In seinem dritten Apostolischen Schreiben hat Papst Franziskus vor einem Monat ein ganz anderes Bild von Heiligkeit entworfen — und verfolgt damit seinen vor fünf Jahren eingeschlagenen Weg einer Erdung kirchlicher Lehren unbeirrt weiter.
„Gaudete et exsultate“ (Freut euch und jubelt) ist die Veröffentlichung überschrieben. Der Titel setzt sich im Ton des Textes fort: Er ist von fast provozierender Leichtigkeit geprägt — als stünde der Argentinier nicht mitten im Sturm einer Auseinandersetzung um den künftigen Kurs der katholischen Kirche. Wer eine Ahnung bekommen will, woher diese päpstliche Gelassenheit rühren könnte, kann in dem 56-seitigen Schreiben „über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute“ einige Antworten finden.
Gleich im ersten Kapitel lenkt Franziskus den Blick weg von denen, die von der Kirche schon selig- oder heiliggesprochen wurden, hin zu den „Heiligen von nebenan“: „Es gefällt mir, die Heiligkeit im geduldigen Volk Gottes zu sehen: in den Eltern, die ihre Kinder mit so viel Liebe erziehen, in den Männern und Frauen, die arbeiten, um das tägliche Brot nach Hause zu bringen, in den Kranken, in den älteren Ordensfrauen, die weiter lächeln. In dieser Beständigkeit eines tagtäglichen Voranschreitens sehe ich die Heiligkeit der streitenden Kirche.“
Franziskus verwahrt sich gegen einen Heiligkeitsbegriff, der nur denen vorbehalten ist, „die die Möglichkeit haben, sich von den gewöhnlichen Beschäftigungen fernzuhalten, um viel Zeit dem Gebet zu widmen“. Alle seien berufen, heilig zu sein, „indem wir in der Liebe leben und im täglichen Tun unser persönliches Zeugnis ablegen, jeder an dem Platz, an dem er sich befindet“.
Es ist eine päpstliche Wertschätzung für das tägliche kleine Bemühen im schmutzigen Alltag. Und gegen eine Vergeistlichung, die sich aus der Welt verabschiedet. Als die beiden Feinde der Heiligkeit beschreibt der Papst dabei eine elitär-intellektuelle Glaubensvorstellung, die sich in ihren eigenen Theorien verliert und diese verabsolutiert, sowie eine Haltung, die nur der menschlichen Leistungsfähigkeit vertraut und nicht auch der Gnade Gottes.
Heiligkeit verbindet sich für den Jesuiten Franziskus unmittelbar mit der sozialen Frage: „Wir können kein Heiligkeitsideal in Erwägung ziehen, das die Ungerechtigkeit dieser Welt nicht sieht, wo einige feiern, fröhlich verbrauchen und ihr Leben auf die Neuheiten des Konsums reduzieren, während andere nur von außen zuschauen können und gleichzeitig ihr Leben weiter voranschreitet und armselig zu Ende geht.“ Er wendet sich in dem Zusammenhang auch gegen katholische Stimmen, die das Flüchtlingsproblem als nebensächlich gegenüber anderen Themen wie der Bioethik einstufen. „Dass ein um seinen Erfolg besorgter Politiker so etwas sagt, kann man verstehen, aber nicht ein Christ, zu dem nur die Haltung passt, sich in die Lage des Bruders und der Schwester zu versetzen, die ihr Leben riskieren, um ihren Kindern eine Zukunft zu bieten.“
In den Wochen seit der Veröffentlichung ist das Schreiben aus Rom oft auch als Franziskus’ Antwort an seine innerkirchlichen Kritiker gelesen worden. Schließlich wendet er sich dagegen, „die Lehre Jesu auf eine kalte und harte Logik zu reduzieren, die alles zu beherrschen sucht“. Der Münchener Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, bewertet das Schreiben anders: „Wer versucht, Gaudete et exsultate unter kirchenpolitischen Aspekten zu analysieren, geht mit Sicherheit an der Intention des Heiligen Vaters vorbei. Wer sich hingegen anstecken lässt, das eigene Leben zu überdenken und darin neu nach der Heiligkeit zu suchen, ist auf dem richtigen Weg.“
Unverkennbar auf dem falschen Weg ist dagegen jeder, der nach Anzeichen einer Verunsicherung des 81-jährigen Oberhauptes der katholischen Kirche sucht. Sein Bemühen, die Kirche wieder stärker an die Alltagserfahrungen der Menschen anzukoppeln und dabei die Zuwendung über die Zurechtweisung zu stellen, scheint ungebrochen. Am Schluss schreibt er: „Ich hoffe, dass diese Seiten nützlich sind, damit sich die ganze Kirche um die Förderung des Wunsches nach Heiligkeit bemüht.“ Das wäre dann wohl — eine Gemeinschaft der Heiligen.