Andrea Maria Schenkel: „Ich liebe das Schauerliche“
Interview: Andrea Maria Schenkel ist eine Schriftstellerin, die mit ihrem Erfolg die Nation überrascht hat. Sie verfasst blutige Krimis.
Düsseldorf. Frau Schenkel, in dieser Woche stehen Sie mit "Kalteis" und mit "Tannöd" auf Platz 1 und Platz 2 der "Spiegel"-Bestsellerliste. Das kommt höchst selten vor. Sind Sie stolz?
Schenkel: Wahnsinnig! Ich habe meinem Mann gesagt, er soll den "Spiegel" mitbringen, damit ich es wirklich selber sehen und für meine Söhne und Enkel einrahmen kann.
"Tannöd" war Ihr erster Roman. Wieso haben Sie plötzlich zu schreiben begonnen?
Schenkel: Plötzlich stimmt nur halb. Ich habe immer gerne gelesen und schon als Kind kleine Sachen geschrieben. Außerdem waren für mich immer - ich sag’ es etwas verschämt - Bücher etwas Heiliges. Wenn da jemand Seiten umknickt oder rummalt, macht mir das Magenschmerzen. Mein Sohn Felix geht sehr sorgfältig mit ihnen um, aber der Kleine ist ein Raudi. Der hat doch in ein neues Buch, einen Brockhaus, neulich hinein gebissen. Da hab’ ich beinahe geschrien! Bücher isst man doch nicht! Ich kann Bücher auch nicht ausleihen, ich muss sie besitzen, und dann will ich sie auch nicht mehr hergeben. Bestimmte Stellen liest man ja vielleicht wieder und dann, als veränderter Mensch, auch anders.
Sie leben in einer Familie mit drei Kindern. Wie kommt man da als sensible Frau auf so blutige Themen wie Massen- und bestialischen Sexualmord?
Schenkel: Ich kann’s nicht wirklich erklären. Ich hatte schon immer, von klein auf, eine Affinität zu gruseligen, abgründigen Geschichten. Als ich noch jung war, hatte ich ein Lieblingsbuch, da ging es um ein Spukhaus in London. Oder die Krimis von Francis Durbridge, immer im Nebel, die habe ich geliebt. Weil ich das bei meinen Eltern nicht im Fernsehen sehen durfte, bin ich zur Oma, die wohnte gleich nebenan. Ich fürchte mich auch nicht vor Gewittern, im Gegenteil, ich liebe es, wenn’s so richtig grollt und kracht. Und dann mag ich Shakespearte wahnsinnig gern, besonders "Richard III."
Aber das ist so ziemlich das blutigste Drama?
Schenkel: Ja ja, gerade deswegen. Aber zuerst habe ich bei der Oma Der Widerspenstigen Zähmung" im Fernsehen gesehen, damals leider in Schwarzweiß.
Leider, weil da das Blut nicht so blutrot zu sehen war?
Schenkel: Kann schon sein. Im Bayerischen Rundfunk lief mal eine Serie aller Königsdramen, immer sonntags morgens. Die habe ich alle gehört.
Für diese schrecklichen Geschichten klingen Sie außerordentlich lebensfroh und lustig!
Schenkel: Ach ja, es sind halt die Abgründe im Menschen, wohl in jedem von uns. Jeder könnte vermutlich zum Mörder werden, jeder ist zu den abscheulichsten Taten fähig. Es ist ja nur dieser winzige Schritt von der so genannten Normalität zum Abnormen.
Haben Sie die von Ihnen ausgewählten beiden Fälle auch nach dokumentarischen Gesichtspunkten ausgesucht?
Schenkel: Kalteis spielt ja in der beginnenden NS-Zeit. Über diese Zeit müssen wir weiter reden mit unseren Kindern. Die Generation, die all das noch erlebt hat, stirbt allmählich aus. Der Genozid, diese unbegreifliche Tragödie, kann zwar überall geschehen, aber er ist dennoch zugleich ein total deutsches Thema.
Sie haben Ihren dritten Roman in Angriff genommen und waren zum Schreiben in Irland. Wie weit sind Sie?
Schenkel: Ach, ein Elend war das. Ich wohnte im Ferienhaus einer Freundin. Und ich hatte nicht bedacht, dass zu dieser Zeit gerade "Kalteis" erscheinen würde. Es war eine Katastrophe, eine absolute! Ich möchte die Rechnung meines Handys nicht sehen, niemals, grauenhaft! Ich habe gerade 15 Seiten geschafft, dann bin ich völlig frustriert wieder abgereist.
Dieser Roman soll länger werden und auch nicht dokumentarisch sein, hört man. Wie arbeiten Sie?
Schenkel: Ich schreibe nachmittags und viel am Abend am Laptop, sobald die Kinder im Bett sind und Ruhe herrscht. Diesmal habe ich erstmals eine Zeittafel für den Ablauf erstellt und mich auch sehr mit der Struktur befasst.
Was für ein Roman wird es und worum geht es?
Schenkel: Sage ich natürlich nicht.
Aber Sie können doch gar nicht anders als einen Krimi zu schreiben, stimmt’s?
Schenkel: Ja, es wird ein Krimi.
Mit Mord oder Morden?
Schenkel: Na ja, mit all den Abgründen halt und eben Mord.
Spielt er in Deutschland oder im ganzen Europa und in welchem Zeitraum?
Schenkel: In Europa, und er reicht über 60 Jahre.
Also eine Generationengeschichte.
Schenkel: Jetzt ist aber Schluss, gleich wissen Sie alles!
Nur noch eines: Sie sagten, Bücher seien Ihnen heilig. Können Sie Ihren Verlag nicht bitten, er soll Ihnen endlich einen gebundenen Einband gönnen statt dieser Taschenbuchausstattung?
Herkunft Geboren am 21. März 1962 in Regensbuerg und dort aufgewachsen. 1991 Umzug nach Baden-Württemberg
Ausbildung Post-Lehrbeamtin
Familie Der Ehemann ist HNO-Facharzt, Sohn Felix wird 1992 geboren, Toni 1996, Linda 2000.
Romane 2006 erscheint der erste Roman "Tannöd", er erhält Deutschen Krimipreis, Friedrich-Glauser-Preis, Corine Preis. 2007 folgt "Kalteis". Ihr dritter Roman soll zur Buchmesse Leipzig 2008 erscheinen (alle: Edition Nautilus, Hamburg).
Lesungen Krefeld 25.10., Oberhausen 26.10., Mönchengladbach 27.10., Nettetal 28.10., Düsseldorf 29.10.