Andreas Maiers Kampf mit der B3

Bad Nauheim/Friedberg (dpa) - Es geht mit dem Fahrrad los in Bad Nauheim auf der Frankfurter Straße, der alten Bundesstraße 3. Der Weg nach Friedberg führt vorbei an einer Tankstelle und an einem Betonkasten aus der Ära des Wirtschaftswunders.

Es ist das höchste und wohl hässlichste Gebäude des Kurorts, der für seine Jugendstil-Bäder berühmt ist, wie Andreas Maier beiläufig erläutert.

Es gibt wohl kaum einen besseren Führer als den 44-jährigen Schriftsteller, um in der Wetterau den Spuren der neuen B3 zu folgen. Maier hat in seinen vielfach ausgezeichneten Romanen und Essays die Ortsumgehungen zum Symbol für die Zerstörung seiner Heimat gemacht. Denn die Bundesstraße, die zu verkehrsärmeren Zeiten die natürliche Lebensader der Orte war, hat sich schon längst verselbstständigt. Als „B3a“ führt sie nun in großen Schleifen um die Städte herum.

Auch in Maiers Geburtsstadt Bad Nauheim und im nur drei Kilometer entfernten Friedberg, wo Maier aufwuchs und zur Schule ging, hat sich die Umgehungsstraße tief in Wiesen und Feldern eingeschnitten. Der in Frankfurt lebende Autor ist auch heute noch oft „daheim“, wie es in der Wetterau heißt - und er kennt dort fast jeden Stein.

Hat man Bad Nauheim hinter sich gelassen, geht es mit dem Rad auf dem alten Promenadenweg in Richtung Friedberg am Flüsschen Usa entlang. In der Ferne ist die aufgeschüttete Trasse der B3a zu erkennen, die sich wie ein Querriegel dazwischen geschoben hat. „Früher hat man von hier aus noch Friedberg gesehen“, sagt Maier bedauernd. Jetzt versperrt die Trasse den Blick. Allein der Adolfsturm, der Bergfried des Friedberger Schlosses, ragt noch heraus.

Die neue B3 hat ein über viele Jahrzehnte gewachsenes Wegenetz ausgelöscht. Für Radfahrer und Fußgänger, die nach Friedberg wollten, ist nur noch eine Unterführung unter einer B-3a-Brücke geblieben. Es sind die technischen Erfordernisse der Ortsumgehungsbauer, die das Gesicht der Landschaft umgekrempelt haben.

Die B-3a-Trasse macht wiederum den Bau von vielen Brücken notwendig, da kleinere Verbindungsstraßen verlegt werden müssen. Wer von Friedberg im Osten ins zwei Kilometer entfernte Ockstadt will, muss als Fußgänger oder Radler die Brücke hochkeuchen oder -strampeln. „Wir spüren es auch alle in den Beinen“, sagt Maier lakonisch zu den Folgen der veränderten Topographie.

Im wirren Geflecht zwischen Umgehungen und Ortschaften fransen zugleich die Neubausiedlungen immer stärker aus. Veränderungen von Orten und Landschaften können manchmal brutal sein, aber meist passieren sie unmerklich. Es ist oft widersinnig: Umgehungsstraßen sollen die Ortskerne entlasten. Dennoch verfällt dort der Einzelhandel, weil Geschäfte sich auf der „Grünen Wiese“ ansiedeln oder die Menschen schneller in Großzentren wie Frankfurt kommen. Davon ist auch Friedbergs Kaiserstraße, die alte B3-Achse, betroffen. Maier kann so manch' traurige Geschichte über das Schicksal von Traditionsgeschäften und Lokalen erzählen.

In seinen Büchern hat der Autor den Modernisierungswahn in der Wetterau einfühlsam beschrieben. „Ortsumgehung“ heißt sein elfbändiges Romanprojekt - er hat es so auch in grimmig-ironischer Anlehnung an die B3a genannt. Der dritte Band, der kommendes Jahr erscheinen soll, heißt passenderweise auch „Die Straße“.

Der Schriftsteller weiß, dass der Feldzug gegen Ortsumgehungen wie ein Kampf gegen Windmühlen ist. „Die Leute sind stolz auf die neue B3“, sagt der Autor. „Für sie ist das Auto auch Deutschland.“ Der literarische Landvermesser ist passionierter Fußgänger und Radfahrer. Er ist aber kein Autohasser, wie man vielleicht meinen könnte. „Ich finde es witzig und traurig zugleich.“ Und er macht sich Gedanken über künftige Generationen, die nach dem Ende des Auto-Zeitalters möglicherweise die Landschaften wieder zurückbauen wollen.

Derweil sucht Maier, der leutselig ist und gerne am Tresen ein Schwätzchen hält, Trost in den Apfelwein-Kneipen und historischen Bierwirtschaften. Von denen gibt es glücklicherweise noch einige, etwa die „Dunkel“ auf der Kaiserstraße in Friedberg. Doch auch dort findet sich beim Feierabendbier kaum jemand, der die Ortsumgehung nicht gut fände.