Ausstellung über „Zettelkästen“ in Marbach

Marbach (dpa) - Von wegen Zettelwirtschaft: Für den Dichter Jean Paul waren die sorgsam beschriebenen Blätter das Herzstück seiner literarischen Werkstatt.

Paul, der als Vater der Zettelkastentechnik gilt, feiert im März seinen 250. Geburtstag. Zum Jubiläum stellt das Literaturmuseum der Moderne (LiMo) mit der Ausstellung „Zettelkästen. Maschinen der Phantasie“ die Zettel-Labyrinthe von 30 Schriftstellern und Wissenschaftlern vor, darunter Jean Paul, Arno Schmidt, Walter Kempowski, Hans Blumenberg und Niklas Luhmann. Ausstellungseröffnung ist am 4. März.

Ulrich Raulff, Direktor des Literaturmuseums Marbach, betont, kein Zettelkasten gleiche dem anderen. Bei Zetteln könne es sich um Skizzen, Briefe, Fotografien, Zeitungsartikel, kurz, um Materialien aller Art handeln. Hölzerne Zettelkästen im ursprünglichen Sinne seien auch nicht immer vorhanden. Arno Schmidt etwa habe Notizen zu „Caliban über Setebos“ gar in einer durchsichtigen Plastiktüte aufbewahrt, berichtet Ausstellungsleiterin Heike Gfrereis. Und Jean Paul habe seine Einfälle nicht auf Zettel, sondern in ein Heft notiert. Das Wort Zettel habe mit Papierschnipseln ursprünglich ohnehin wenig zu tun. Es stamme aus der Fachsprache der Weberei und sei auf Verweben von Gedanken übertragen worden.

„Zettelkästen sind wie Tiere“, sagt Raulff. „Wenn man einen Zettelkasten atomisiert, also die Zettel einzeln ausstellt, sieht er aus wie eine abgeschossene Taube, da sehen Sie nur die Federn im Gras liegen. Stellen Sie ihn hingegen als Ganzes dar, wird er zum Igel, macht sich rund und man sieht gar nichts.“ Zettelkästen seien eigentlich unausstellbar, und gerade darum so faszinierend.

„Die Ausstellung hat eine Anordnung, die die der Zettelkästen entspricht“, erklärt Gfrereis. Zunächst systematisch und übersichtlich, werden die Exponate nach und nach immer detaillierter und gedankenübergreifender ausgestellt. So wolle man dem Problem der Sichtbarkeit begegnen und die Lust des Findens beim Besucher wecken. In den Stücken selbst kann man allerdings nicht blättern, sie befinden sich hinter Glas. „Es ist sehr schade, dass Sie das, was Sie finden, nicht anfassen können“, sagt Gfrereis.

Erstaunlich sei die Zahl der Zettelkästen auch aus den letzten 20 Jahren, sagt Raulff. „Da ist er eigentlich medientechnisch gesehen schon im freien Fall.“ Die Ausstellung macht auch die Diskrepanz deutlich: Während ein Schriftsteller wie F.C. Delius Copy und Paste als „Befreiung von den steifen Karteikarten“ sieht und als Möglichkeit empfindet, digitale Notizen beliebig auszubauen, ist Wilhelm Genazino ganz anderer Meinung: Kleinstzettelchen bewahrte er in der Brusttasche seines Hemds auf, später ordnete er seine „Prothesen“, wie er sie nennt, in ein Verzeichnissystem ein. „Diesem Herren müssen Sie Briefe schreiben“, so Gfrereis - „denn er hat keine Mail-Adresse.“