Bestsellerautor Jonas Jonasson legt nach

München (dpa) - Nein, Allan Karlsson taucht nicht wieder auf: „Der Hundertjährige, der aus einem Fenster stieg und verschwand“ aus Jonas Jonassons gleichnamigen Debütroman spielt im zweiten Werk des schwedischen Schriftstellers keine Rolle mehr.

Das könnte viele Fans enttäuschen, muss es aber nicht. Denn Jonasson (52) bleibt sich in vieler Hinsicht treu und hat mit Nombeko Mayeki zum einen eine Figur geschaffen, die genauso selbstbewusst, eigenwillig und sympathisch ist wie der Hundertjährige, der aus dem Altenheim türmt. Nur dass Nombeko in einem Slum in Soweto lebt und zunächst alles dagegen spricht, dass sie jemals 100 werden könnte. Zum anderen ist der Plot in „Die Analphabetin, die rechnen konnte“ wieder voller skurriler Einfälle und unerwarteter Wendungen.

Denn Jonasson ist ein begeisterter Erzähler, der sich von seinen Geschichten mitreißen lässt und deshalb auch seine Leser mitreißt. Einer, dem man den Spaß an verrückten Ideen und am Ausdenken immer verwickelterer Handlungsstränge in jedem einzelnen Kapitel anmerkt und der dabei keine Rücksicht auf Wahrscheinlichkeit nimmt. „Die Analpabetin, die rechnen konnte“ ist ein Paradebeispiel dafür.

Schon das Personal des Romans beweist Jonassons Einfallsreichtum: Da ist die Hauptfigur Nombeko, die zwar erst spät lesen lernt, aber schon als Teenagerin besser rechnen kann als mancher Ingenieur und ganz sicher besser als das versoffene Arschloch Engelbrecht van der Westhuizen, das trotz erwiesener Unfähigkeit das Atombombenprogramm Südafrikas leitet. Da sind zwei Agenten des Mossad, von denen einer bei einem Hubschrauberabsturz in der Ostsee stirbt und der andere Nombeko dafür gerne um die Ecke bringen würde.

Da sind zwei schwedische Zwillingsbrüder, die beide Holger heißen, von denen einer aber strunzdumm und verbohrt und der andere intelligent und sympathisch ist und Nombekos ganze Liebe gewinnt. Da sind der CIA-Chef, der südafrikanische Präsident, hochrangige chinesische Politiker sowie der schwedische Ministerpräsident und der schwedische König, die beide von Nombekos schwedischen Freunden entführt werden, sich ganz wohl dabei fühlen, für ihre Entführer Hühner schlachten und einen Traktor reparieren.

Das klingt irre? Stimmt, macht aber nichts. Jonasson schafft es problemlos, daraus eine genauso unterhaltsame wie spannende Geschichte zu machen. Sie fängt im Slum von Soweto an, wo die 14-jährige Nombeko dank ihrer Intelligenz und der Dummheit vieler anderer Chefin der Latrinenverwaltung wird, anschließend Putzfrau im Geheimprojekt der südafrikanischen Regierung zum Bau von Atomwaffen. Sechs sollen produziert werden, aus Versehen wird es eine mehr. Als Nombeko aus Angst um ihr Leben nach Schweden flieht, nimmt sie die Atombombe gewissermaßen mit. Und damit gehen die Verwicklungen erst richtig los. Am Ende des Romans wird sie schwedische Botschafterin in Südafrika.

Vor vier Jahren kannte den Schriftsteller Jonas Jonasson praktisch niemand. Doch sein Debütroman „Der Hundertjährige, der aus einem Fenster stieg und verschwand“ wurde zur Sensation: Er erschien in 35 Ländern und verkaufte sich mehr als 2,3 Millionen Mal allein in Deutschland, wo der schwedische Autor besonders viele Fans hat: Sein „Hundertjähriger“ führte hier monatelang die Bestsellerlisten an, im ersten Halbjahr 2013 war er der am meistverkaufte Belletristiktitel überhaupt. Die Verfilmung der Geschichte kommt Mitte März in die deutschen Kinos.

Der zweite Roman sei immer der schwerste, heißt eine alte Regel unter Autoren. Angesichts des überragenden Erfolgs des ersten gilt das für Jonasson vielleicht noch mehr. Vier Jahre lang hat er an seiner Nummer zwei geschrieben. Manchmal scheint es so, als habe er seine Fantasie einfach nicht zügeln können und immer noch eine Idee mehr in der ohnehin abgedrehten Handlung unterbringen wollen.

Was zu den großen Stärken seiner Romane gehört: Beide Hauptfiguren sind so angelegt, dass der Leser gar nicht anders kann, als sie zu mögen. Nombeko hat von ersten Seite des Romans an ihre Sympathie. Sie lebt unter unwürdigen, grauenhaften Bedingungen, ist umgeben von Zynikern, Mistkerlen und Schwachköpfen oder Zeitgenossen, die deren Eigenschaften kombinieren. Und sie schafft es auf dem Weg von Soweto nach Schweden immer wieder, sich durchzusetzen auf der Suche nach ihrem ganz persönlichen Glück. Am Schluss hat sie die Schwachköpfe, Mistkerle und Zyniker hinter sich gelassen, und alles wird gut. Ein Happy End, wie es die Leser mögen.

Jonas Jonasson: Die Analphabetin, die rechnen konnte, carl's books München, 442 S., 19,99 Euro, ISBN 978-3-570-58512-2