Buchpreis-Shortlist als Gesamtkunstwerk
Berlin/Frankfurt (dpa) - Diese Sechs sind irgendwie untrennbar. Schon die Zusammenstellung der Finalisten zum Deutschen Buchpreis 2011, die die Jury am Mittwoch in Frankfurt bekanntgab, ist wie ein kleines literarisches Gesamtkunstwerk.
Zwei Debüts sind dabei - Jan Brandt und Eugen Ruge -, junge und ältere Autoren aus West und Ost, drei Frauen, drei Männer. Auch inhaltlich ist fast alles vertreten: eine Kindheit in der DDR, Alltag in der Provinz, aber auch Geschichten aus einer globalisierten Welt. „Es ging uns nicht um Tendenzen“, sagt Jurysprecherin Maike Albath. „Der Reiz der Liste liegt in ihrer Vielfalt.“
Was man als Gemeinsamkeit ausmachen kann: Einige der Geschichten sind sehr persönlich, teilweise autobiografisch. „Die Helden tragen schwer an Heimat und Herkunft. Verwickelte Familienverhältnisse dienen oft als Fallbeispiele“, so die Einordnung der Jury. Zu den Nominierten gehören außer Jan Brandt mit „Gegen die Welt“ (DuMont) und Eugen Ruges „In Zeiten des abnehmenden Lichts (Rowohlt) auch „Wunsiedel“ von Michael Buselmeier (Das Wunderhorn) und „Das Mädchen“ von Angelika Klüssendorf (Kiepenheuer & Witsch). Außerdem sind Sibylle Lewitscharoff mit „Blumenberg“ (Suhrkamp) und „Die Schmerzmacherin“ von Marlene Streeruwitz (S. Fischer) in der Endrunde.
Zu den Favoriten der Shortlist dürfte Romandebütant Jan Brandt gehören. Sein Buch „Gegen die Welt“ ist mit fast 1000 Seiten zwar immer noch rund 400 Seiten schlanker als Uwe Tellkamps 2008er-Preisträger „Der Turm“, aber er beschreibt genauso prall und assoziativ eine kleine gesellschaftliche Gruppe vor dem Hintergrund bundesdeutscher Zeitgeschichte. Beim 1974 geborenen Brandt geht es um das Kleinstadtidyll des fiktiven norddeutschen Städtchens Jericho in den 80er-Jahren der westdeutschen Republik, das durch eine mutmaßliche Alien-Entführung der Hauptfigur Daniel ordentlich durcheinandergewirbelt wird. Die Besprechungen waren hymnisch. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ meinte gar, dass einige Passagen Thomas Manns „Zauberberg“ „überlegen“ seien.
Hochgelobt und mit Vorschusslorbeeren bedacht auch Eugen Ruge. Bereits für das Manuskript zu seinem Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ über mehrere Generationen einer deutschen Familie erhielt er den Alfred-Döblin-Preis. Ruge erzählt vor allem von den menschlichen Schicksalen und Schwächen der weitverzweigten Familie mit ihren unterschiedlichen Lebensläufen, Hoffnungen und Illusionen. Es ist offensichtlich, dass er wohl auch viel Selbsterlebtes mitverarbeitet hat.
Ein gewisses Gegengewicht bildet inhaltlich „Die Schmerzmacherin“ von Marlene Streeruwitz. In ihrem Roman entführt die österreichische Autorin den Leser in das unheimliche Schattenreich privater Sicherheitsdienste. Sie erzählt in einer abgehackten, stakkatohaften Sprache, bei der manchmal ein Satz einfach so unvollendet im Raum stehen bleibt. Nicht zuletzt auch wegen ihres Stils sei die Österreicherin in die Runde der letzten Sechs gewählt worden, so die Jury.
Die Buchhändler werden die Finalisten zweifellos gut sichtbar in ihren Läden platzieren. Ihre Hoffnung auf einen für den Herbst dringend benötigten Bestseller dürfte sich damit wohl kaum erfüllen, das ist bei literarischen Werken vor allem noch unbekannterer Autoren aber auch nicht zu erwarten. Während Uwe Tellkamps „Der Turm“ sich 2008 zwei Monate nach der Preisverleihung nach Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels immerhin 450 000 Mal verkaufte, kam die Preisträgerin Kathrin Schmidt („Du stirbst nicht“) in diesem Zeitraum 2009 über 150 000 nicht hinaus. Auch Melinda Nadj Abonjis „Tauben fliegen auf“, Buchpreisgewinnerin 2010, verkaufte sich mit 125 000 Exemplaren nicht gerade wie geschnitten Brot.
Für einige in der Branche ist das aber auch gar nicht so schlimm, denn bereits seit einiger Zeit rumort es bei Verlagen, Agenten und Buchhandlungen: Zu kommerziell sei der Preis, zu sehr bündele die Berichterstattung in den Medien und eine Rezensionsflut zu den sechs Titeln die Aufmerksamkeit auf einige wenige Titel, wo doch mindestens einige Dutzend deutschsprachige Neuerscheinungen stärker ans Licht der Öffentlichkeit gehörten.
Am 10. Oktober werden sie sich unausweichlich trennen müssen, die Sechs. Dann wird am Vorabend der Frankfurter Buchmesse der Deutsche Buchpreis verliehen. Und den kann bekanntlich nur einer bekommen.