Literatur Deutscher Buchpreis: Sechs Fabulierer auf der Shortlist
Frankfurt/Main · Reisen durch Raum und Zeit - das haben die Romane auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis gemeinsam.
Alle sechs Autoren folgen nach Ansicht der Jury ganz unterschiedlichen Spuren in die Vergangenheit oder in mythische Schichten der Wirklichkeit. „Fabulierend, spekulierend, verspielt“, wie die Sprecherin des Kritiker-Gremiums, Christine Lötscher, feststellt.
Geschafft haben es ins Finale um den besten deutschsprachigen Roman des Jahres die Autoren María Cecilia Barbetta, Maxim Biller, Nino Haratischwili, Inger-Maria Mahlke, Susanne Röckel und Stephan Thome. Es sind vier Frauen und zwei Männer. Ihre Erzählwelten umfassen tatsächlich den gesamten Globus: Argentinien, China, Tschetschenien, Russland oder Teneriffa.
Der Sieger beim Buchpreis, der für die Branche wichtigsten Auszeichnung, wird am 8. Oktober zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse gekürt. Schon jetzt steht aber mit der Auswahl der Shortlist fest, dass anders als in den Vorjahren (inner-)deutsche Befindlichkeiten oder die deutsche Vergangenheitsbewältigung keine Rolle spielen werden.
Barbettas Roman „Nachtleuchten“ spielt 1974 in Buenos Aires kurz vor der Machtergreifung der Generäle - und ist damit am weitesten von Deutschland weg. „Dieser Roman sprüht vor Ideen, er ist ein Vulkan voller verschachtelter Sätze“, urteilt die Jury. Die Autorin kam 1996 als Studentin nach Berlin und schreibt inzwischen auf Deutsch.
Stephan Thome hat es bereits zum dritten Mal auf die Shortlist geschafft. Hat er sich in seinem Debütroman „Grenzgang“ (2009) noch mit dem Leben in der hessischen Provinz beschäftigt, spielt „Gott der Barbaren“ im China des 19. Jahrhunderts. Ein Aufstand religiöser Fanatiker droht die Strukturen im Riesenreich hinwegzufegen. Die Jury lobt die „elegante Sprache“ Thomes, der selbst Sinologe ist.
Die Grausamkeiten des Tschetschenien-Kriegs hat die aus Georgien stammende Nino Haratischwili zum Thema ihres Romans gemacht. Die Hauptrollen in „Die Katze und der General“ spielen ein russischer Oligarch und eine junge georgische Schauspielerin, die beide in Berlin leben. „Großes Kino“, urteilt die Jury. Mit ihrem 1300-Seiten-Epos „Das achte Leben“ über eine georgische Familie hatte die in Hamburg lebende Autorin 2014 einen unerwarteten Besteller gelandete.
Maxim Biller, auch als streitbarer Kolumnist und ehemaliger Teilnehmer aus dem „Literarischen Quartett“ des ZDF bekannt, hat sich in „Sechs Koffer“ des Schicksals und Geheimnisses seines Großvaters angenommen. Dieser wurde 1960 in der Sowjetunion hingerichtet. Der Roman ist zugleich die Geschichte einer russisch-jüdischen Familie auf der Flucht in den Westen. „Große Erzählkunst“, meint die Jury.
Inger-Maria Mahlke reist in „Archipel“ ans Ende Europas - nach Teneriffa. Sie erzählt von einer Familie inmitten eines Jahrhunderts der Umbrüche. Die Autorin verknüpfe auf grandiose Weise den „Zyklus des Privaten“ mit dem Politischen, urteilt die Jury. Mahlke stand bereits 2015 mit ihrem Roman „Wie Ihr wollt“ im Finale zum Buchpreis.
Auch bei Susanne Röckels „Vogelgott“ geht es um ferne Kontinente. Dennoch fällt das Buch, ein von der angelsächsischen Fantasy-Literatur beeinflusster Schauerroman, aus der Reihe. Die Bewohner einer abgelegenen Bergregion stehen im Bann eines bedrohlichen Geiers. Die Jury lobt die „beklemmende Atmosphäre“ der in München lebenden Autorin, die auch Übersetzerin ist.
„Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen“, umschreibt Jurysprecherin Lötscher in Anlehnung an ein berühmtes Zitat von William Faulkner das Leitthema beim diesjährigen Buchpreis. Die sieben Kritiker haben insgesamt 199 Neuerscheinungen der deutschsprachigen Verlage gesichtet. Dieses Mal steht aber kein Autor aus Österreich oder der Schweiz im Finale.
Keines der auf der Shortlist gelandeten Bücher liefere einfache Wahrheiten, so Lötscher. „Umso faszinierter lässt man sich als Leserin, als Leser auf vielstimmige Erzählkompositionen und auf die Sinnlichkeit einer anderen Zeit ein, die immer auf unsere verweist.“