Blutrausch in Sin City Jo Nesbø erzählt Shakespeares „Macbeth“ neu
Berlin (dpa) - Was die Opferzahl, den „Bodycount“ seines neuen Romans betrifft - da hat Jo Nesbø in der weltweit erfolgreichen Harry-Hole-Serie schon vergleichbare Gewaltexzesse beschrieben.
Doch diesmal erhält das Gemetzel quasi literaturgeschichtliche Weihen - durch die Vorlage von William Shakespeare (1564-1616). Mit einer modernisierten Adaption der gut 400 Jahre alten „Macbeth“-Tragödie legt der Norweger Nesbø sein bisher ambitioniertestes Buch vor.
Ob es auch sein bestes ist, hängt wohl von der Bindung des Lesers an die vertraute Figur Harry Hole ab. Denn im Gegensatz zum gefährdeten, letztlich aber moralisch integren Osloer Mordermittler kann Macbeth der Verlockung des abgrundtief Bösen bekanntlich nicht widerstehen. Kein schwankender Sympathieträger wie Hole ist diese Shakespeare-Figur, sondern schon bald ein haltloser Mörder aus Machtgier. Doch weniger faszinierend ist der Antiheld deswegen nicht.
Ausgangspunkt für Nesbøs „Macbeth“ (in Deutschland mit dem platten Untertitel „Blut wird mit Blut bezahlt“ veröffentlicht) war das Hogarth-Shakespeare-Projekt. Es bietet renommierten Schriftstellern die Chance, ihre Neuerzählung eines Shakespeare-Werks zu präsentieren. So widmete sich Anne Tyler „Der Widerspenstigen Zähmung“ („Die störrische Braut“ von 2016), Margaret Atwood nahm sich „Der Sturm“ vor („Hexensaat“ von 2017), und Gillian Flynn („Gone Girl“) schreibt ihre Version von „Hamlet“, die 2021 erscheinen soll.
„Macbeth“ ist für Nesbø „mein liebstes Shakespeare-Stück“, wie der 58-Jährige jüngst in einem Interview sagte - und das gewiss nicht nur, weil vom Charakter des zunächst guten, dann verführten und am Ende monströsen Protagonisten auch etwas in Harry Hole stecke. Daher sei er glücklich, dass das Shakespeare-Projekt ihn für diesen Stoff aus der Weltliteratur ausgewählt habe. „Sie haben mich früh gefragt, sonst hätte ein anderer Autor den "Macbeth" genommen.“
Aber es passt ja auch zu gut, dass ein Krimi-Autor mit weltweiten Millionenauflagen sich dieses von brutalster Gewalt geprägten Thriller-Stoffs annimmt. Wobei es noch nicht einmal Shakespeares blutigstes Stück sei, wie Nesbø augenzwinkernd betont.
Er siedelt seinen „Macbeth“ in den 1970er Jahren an, in einer lebensfeindlichen Metropole namens Capitol, deren atmosphärisch eindrucksvolle Beschreibung nach Nesbøs Worten von Glasgow, Newcastle und New York aus jener Zeit inspiriert wurde. Den Dauerregen habe er sich von der norwegischen Stadt Bergen geborgt, und insgesamt sei der düstere Schauplatz des Romans wohl „ein bisschen wie Sin City“ geraten - die fiktive Stadt aus dem berühmten Frank-Miller-Comic.
Um schottische Clans und umkämpfte Throne kann es bei Nesbø natürlich nicht mehr gehen - doch Shakespeares Figuren und das Gerüst der Vorlage von 1606 hat er weitgehend übernommen. „Ich muss zugeben: Ich dachte zunächst, ich könnte die Story besser machen. Aber das ist mir nicht gelungen“, so der Bestseller-Autor.
Also entwirft er für den Roman eine Polizei-Hierarchie des 20. Jahrhunderts als Handlungsrahmen - mit dem Chief Commissioner Duncan als „König“ sowie Macbeth und Duff (bei Shakespeare hieß er noch Macduff) als seinen Untergebenen. Macbeth, der fähige und anfangs aufrechte Anführer einer Spezialeinheit, greift nach der ganzen Macht in Capitol - verführt durch bösartige Prophezeiungen, enthemmt durch Drogen, angefeuert von seiner ehrgeizigen Geliebten „Lady“, der eigenen Unverletzlichkeit allzu sicher.
Es folgt ein Blutrausch, mit Intrigen, Morden und einem spektakulären Showdown. Macbeths furchtbares Scheitern ist aus dem Original bekannt - wer Shakespeares Drama kennt, kann die Entwicklung bei Nesbø also erahnen. Es sei diesmal auch nicht darum gegangen, wer der Täter ist (also das klassische „Whodunit“), sondern um das Warum dieser „Reise in die Hölle“.
Der Autor fragt: „Was ließ Macbeth die Grenze überschreiten?“ Zudem stecke in dem Stoff „eine große Liebesgeschichte“ des Verbrechers mit seiner „Lady Macbeth“ - im Roman ist sie Chefin eines Spielcasinos, mit ebenso dunkler Vergangenheit wie Macbeth selbst. Ein bisschen „Bonnie und Clyde“ habe er da im Sinn gehabt, so Nesbø.
Abgesehen von manchen Längen auf gut 600 Seiten und kleineren Schwächen in der Neuerfindung des Shakespeare-Dramas (Macbeths Wandel vom guten Cop zum potenziellen Tyrannen kommt allzu plötzlich), trotz einiger arg comic-haft ausgemalter Szenen: Dieser „Macbeth“-Thriller ist ein vor allem in seiner Kapitalismuskritik gelungenes Experiment. Eine weitere Romanserie kann daraus logischerweise nicht werden. Umso besser, dass Nesbø die vor gut 20 Jahren gestartete Geschichte des melancholischen Ermittlers Harry Hole fortsetzt: Band Nummer 12 ist für nächstes Jahr angekündigt - er soll den Titel „Messer“ tragen.
Jo Nesbø: Macbeth. Blut wird mit Blut bezahlt. Aus dem Englischen von André Mumot, Penguin Verlag, 624 Seiten, ISBN 978-3328600176