Carré: Empörung als literarischer Antrieb
Der Thriller-Altmeister John le Carré bezieht in seinem neuen Roman Stellung in der NSA-Affäre — eindeutig.
Düsseldorf. 2013 war ein zweischneidiges Jahr für Thriller-Autoren: Auf der einen Seite boten NSA-Überwachung und die Snowden-Debatte thematische Anknüpfungspunkte. Auf der anderen Seite aber übertraf die Realität die schlimmsten Szenarien, die bislang literarisch gezeichnet worden sind. Es ist deshalb gewagt, auf diese Themen aufzuspringen, ohne überholt zu wirken. Altmeister John le Carré geht das Risiko mit seinem 23. Roman „Empfindliche Wahrheit“ ein — mit Erfolg. Weil es ihm nicht um die Beschreibung, sondern den Appell geht.
Ausgangspunkt ist eine zwielichtige Anti-Terroraktion in Gibraltar, an der Briten und amerikanische Söldner beteiligt sind. Sie endet in einem Fiasko und setzt damit eine Vertuschungsmaschine in Gang. Le Carrés Protagonist, der junge Karriere-Diplomat Toby Bell, ist zunächst ein Rädchen in der Maschine, das aber schnell ausgetauscht wird. Doch die Affäre holt ihn letztlich ein und er wird er nach langem Ringen zum Verräter, weil er keine andere Möglichkeit mehr sieht.
Le Carré rechnet mit Tony Blairs New Labor ab, indem er den Staatssekretär Fergus Quinn einführt, der Amt und Staat als Selbstbedienungsladen versteht, während er nach außen den Volkstribun der benachteiligten Schichten mimt. Dessen Pendant Jay Crispin, Unternehmer für Dienstleistungen sicherheitspolitischer Art, erinnert an den Gründer der berüchtigten US-Söldnertruppe „Blackwater“, Erik Prince. Die Staatsdiener ihrer Majestät fördern vor allem die eigene Karriere. Vertuschung wird zur Staatsräson.
Der Autor zeichnet einen auf allen Ebenen diskreditierten Staat, die totale Überwachung ist längst Realität, der technische Fortschritt in Form von Handys und Kreditkarten zur Fußfessel mutiert. Die Informationen befeuern wiederum die Machenschaften des Staatsapparats. Wer sich für Wahrheit und Gerechtigkeit einsetzt, prallt gegen eine monolithische Wand, bis das Vertrauen so zerstört ist, dass es nur noch einen Ausweg gibt.
„Empfindliche Wahrheit“ wird nicht als eines seiner Meisterwerke in die Literaturgeschichte eingehen. An die Vielschichtigkeit vom „Spion der aus der Kälte kam“, der „Libelle“ oder dem zuletzt verfilmten „Dame, König, As, Spion“ reicht es sicherlich nicht heran. Muss es aber auch nicht. Dem kritischen Bürger le Carré geht es vielmehr um den Aufruf, sich gegen einen korrupten Vertuschungsstaat zu richten und der Einschüchterung zu widerstehen. Es ist ein Plädoyer für das moralische Existenzrecht und die Notwendigkeit von Enthüllungen. Sein Appell hat nicht die Spur von Altersmilde. Es ist die Empörung, die ihn antreibt.