Charlotte Roches durchgeplanter Bestseller

Ihr neuer Roman „Schoßgebete“ geht mit spektakulären 500 000 Exemplaren an den Start.

München. Charlotte Roche ist eine routinierte Provokateurin und Tabu-Brecherin. Die 33-Jährige hat schon ziemlich viele Fernsehsendungen bei ziemlich vielen Sendern (Viva Zwei, ProSieben, Arte, 3Sat, NDR) moderiert und ist bekannt für ihre direkte Sprache. Die pflegt sie auch in ihrem Debütroman „Feuchtgebiete“, der 2008 mit 1,7 Millionen verkauften Exemplaren das erfolgreichste Buch des Jahres war.

Außerdem bot er ein dankbares Aufrege-Thema über die Feuilleton-Seiten hinaus. Die einen empfanden ihn wegen der unverblümten Beschreibungen von Körper-Öffnungen, -Säften und Gerüchen als eklig. Die anderen lasen die Geschichte der Helen Memel als durchaus witzige Kritik am Reinlichkeitswahn, dem Frauen unterworfen werden. Die Autorin sagt, das Buch sei zu großen Teilen autobiografisch. Und außerdem gehe es gar nicht in erster Linie um Sex, sie verarbeite darin die Scheidung ihrer Eltern.

Sex verkauft sich aber nun mal gut, deshalb folgt ihr neuer Roman „Schoßgebete“, der am Mittwoch in die Buchhandlungen kommt, einem quasi identischen Muster. Schon vom Titel her ist er dem Erstling artverwandt, auch inhaltlich fährt er wieder zweigleisig — wie die Autorin bei ihrer ausgedehnten Werbetour.

Vordergründig geht es laut Verlag um „eins unserer letzten Tabus“ — dem Sex in der Ehe. Roche wirft den Riemen auf die PR-Orgel und kündigt an: „Wer dachte, ,Feuchtgebiete’ ist krass, muss sich hier richtig anschnallen.“ In der Tat lässt sie in den Beschreibungen der Ehehygiene kaum ein Körperteil und kaum ein Detail seiner möglichen Verwendung aus.

Zugleich bedient die Autorin gefühlige Erwartungen, gibt auch hier „sehr viel von sich preis“, der Roman sei stark autobiografisch. Im „Spiegel“-Interview berichtet sie gerade von ihrer Magersucht, ihrer Alkoholabhängigkeit und ihren Depressionen. Nur ihrer Therapeutin verdanke sie es, dass sie noch am Leben sei.

Roche sagte: „Ich wollte immer die Mutigste sein, die Lauteste, die Krasseste. Es muss krass sein, sonst entsteht Langeweile.“ Ihren Drang, sich mit ihren Problemen und Erlebnissen in Interviews und in ihren Büchern darzustellen, erklärt sie so: „Vielleicht gibt mir die Öffentlichkeit etwas, was ich als Kind nicht hatte: Aufmerksamkeit, Liebe.“ So arbeitet sich Hauptfigur Elizabeth am Verhältnis zu ihrer Mutter ab.

In „Schoßgebete“ geht es außerdem um ein Familiendrama, das Charlotte Roche ziemlich platt aus dem eigenen Leben übernimmt: Die Mutter der Ich-Erzählerin wird bei einem Autounfall schwer verletzt, ihre drei Brüder sterben. Genau diese Tragödie hat Roche 2001 erlebt. Sie habe das geschrieben, „weil ich das Gefühl hatte, das muss jetzt raus. Ich habe bis heute nicht getrauert, kein bisschen“. Und weiter: „Alle aus der Familie weinen nicht. Niemand weint, bis heute.“

Die Autorin hat nun ihre PR-Schuldigkeit für den Roman getan und ist in den Urlaub gefahren. Der Piper Verlag gibt sich hochgesteckten Hoffnungen hin und geht mit einer für deutsche Verhältnisse spektakulären Auflage von 500 000 Exemplaren an den Start. Ob das Empörungs-Potenzial für einen neuen Megaseller ausreicht, wird sich Meinung von Buchhändlern sehr rasch herausstellen.

Charlotte Roche: „Schoßgebete“; Piper, 283 S. 16,99 Euro. Die Autorin hat auch das gleichnamige Hörbuch auf fünf CDs eingelesen, ca. 19,99 Euro.