Das Ende der Spaßgesellschaft
Heute vor einem Jahr erhängte sich der Autor David Foster Wallace. „Unendlicher Spaß“ ist sein gewaltiges Vermächtnis.
Düsseldorf. Es ist ein Buch biblischen Ausmaßes geworden. "Unendlicher Spaß", die deutsche Übersetzung des 1996 in den USA erschienenen "Infinite Jest", hat über 1.500 Seiten, fast 400 Fußnoten und wiegt mehr als 1,5 Kilogramm. Die Lektüre ist nicht immer unendlicher Spaß, jedoch außergewöhnlich lohnenswert.
Der Autor, David Foster Wallace, wurde in den USA mit diesem Opus Magnum zu einem der wichtigsten Schriftsteller seiner Zeit. Ein Autor mit beeindruckendem Fachwissen lexikalischer Dimension, vor allem in Philosophie und Mathematik, einem bemerkenswerten Gefühl für Sprache und die Ausdrucksweisen seiner Figuren.
Nach Jahren des Kampfes gegen seine Depressionen, nach Problemen mit Drogen und Medikamenten, erhängte sich Wallace vor einem Jahr im Alter von 46 Jahren. Weil er nicht mehr schreiben konnte mit den Medikamenten. Weil er es nicht mehr aushielt ohne.
Auch seine Protagonisten in "Unendlicher Spaß" leiden fast ausnahmslos. Ganz gleich, ob es die Elite-Schüler der Tennisakademie "Enfield Tennis Akademie" (E.T.A.) sind, die dem Druck der Kaderschmiede mit dem Missbrauch verschiedener Substanzen begegnen. Oder die Insassen einer Entzugs-Klinik, die kaum zufällig am Fuße des Hügels liegt, auf dem die Tennisakademie thront.
Sie ist deren Spiegelbild, wenn auch mit anderem sozialen Status. Alle lenken sich von ihrem Leid ab mit blödester Unterhaltung, ungesundem Ehrgeiz, Drogen. Wallace scheint immer mal wieder zu fragen, wo da eigentlich genau der Unterschied liegt.
Im Buch befinden wir uns meist im Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche. Sponsoren können sich in den durchkapitalisierten USA mittlerweile den Jahresnamen kaufen. Die Freiheitsstatue trägt eine Windel.
James Incandenza, Gründer der Tennisakademie, hat vor seinem Freitod einen Film mit dem Titel "Unendlicher Spaß" fertig gestellt; jeder, der ihn ansieht, verfällt in Unterhaltungs-Starre, der Film läuft in Dauerschleife, der Zuschauer stirbt. Diesen Film will eine Gruppe frankokanadischer Rollstuhl-Terroristen in die Finger bekommen, um die USA in ihre Schranken zu weisen.
Hal Incandenza, eine zentrale Figur, ist hochbegabt, kann sich aber seiner Umwelt nicht immer verständlich machen. Er ist begnadeter Tennisspieler und intellektuell seinem jeweiligen Alter weit voraus, Sohn einer fanatischen Linguistin und eben jenes Tennisakademie-Gründers und Regisseurs, der die Spaßgesellschaft bis zum Exzess getrieben hat und sie nun postum ausrotten könnte.
Hal Incandenza ist fast David Foster Wallace, der in seiner Jugend Tennisprofi war, mit seiner Mutter früh Wörter erfand für Dinge, die noch keinen Namen hatten und der, hochbegabt, an der Welt verzweifelte, Wissen anhäufte und versuchte, sich verständlich zu machen.
Deshalb ist das Buch so berührend, bedrückend und genial. Weil Wallace weiß, wovon er schreibt, weil er die Depressionen, den Leistungsdrill, die Drogensucht erlebt hat und für die Facetten seiner Protagonisten ungeahnt treffende Beschreibungen findet - für Künstler ebenso wie für Wissenschaftler oder Erwachende nach einer albtraumgeplagten Nacht: "An diesen schlimmsten Morgen mit kalten Fußböden, heißen Fenstern und gnadenlosem Licht weiß die Seele schon, dass der bevorstehende Tag weniger zu traversieren als vertikal zu erklimmen ist und dass das Einschlafen an seinem Ende dann dem erneuten Herabfallen von etwas Hohem und Steilem gleichkommen wird."
Doch Wallace kann auch lustig, etwa wenn er das "unverkennbare Jaulen eines Menschen beim Aufprall auf einen Kaktus" beschreibt. Ulrich Blumenbach gebührt Lob für seine Übersetzung, eine sechsjährige Ausdauerleistung, und für die Erweiterung unseres Horizontes.
Das amerikanische Original war für Nicht-Muttersprachler kaum zu bewältigen. Dass sich "Unendlicher Spaß" kurz nach Erscheinen gar auf Bestseller-Listen findet, ist eine große Überraschung.