Der Tiefgang der Vergessenden

Arno Geiger hat ein Buch über seinen demenzkranken Vater geschrieben.

Düsseldorf. Demenz — die Krankheit unseres Jahrhunderts. Ganze Regalmeter von Büchern zum Thema sind in den Jahren zusammengekommen: Jonathan Franzens „Das Gehirn meines Vaters“, zum Beispiel. Oder Tilman Jens’ Buch „Demenz“, in dem er seinem Vater Walter Jens vorwarf, er habe sich aus Scham über seine NSDAP-Mitgliedschaft in die Demenz geflüchtet.

Martin Suters Kriminalroman „Small World“ dagegen war eine poetische Wiedergutmachung des Lebens. Sie alle haben die Alzheimerkrankheit ihrer Väter literarisch verarbeitet, mal anklagend, mal klinisch und mal romantisierend.

Nun hat auch Arno Geiger ein Buch über seinen dementen Vater geschrieben: „Der alte König im Exil“. Doch der Österreicher tappt in keine der inzwischen bekannten Fallen.

Sein Buch ist eben gerade keine Abrechnung, kein Anklagetext, es fordert kein falsches Mitgefühl heraus. Vor allem aber steckt in dem schmalen Buch der Versuch, die Krankheit mit all ihren Katastrophen und den durchaus vorhandenen Glücksmomenten endlich dahin zu bringen, wo sie sich abspielt — in unserer Mitte.

Von einem langen Leben erzählt Arno Geiger. Sein Vater, August Geiger, wuchs als drittes von zehn Kindern auf. Kaum war er volljährig, musste er in den Krieg ziehen. Er überlebte, wurde Dorfschreiber und heiratete. Mit seiner Frau bekam er drei Kinder. Dann trennten sie sich.

Mitte der Neunziger erkrankte August Geiger dann an Demenz. Langsam begann seine Erinnerung zu schwinden. Und Arno Geiger hat beim Vater gesessen, den Laptop aufgeklappt, und hat ihm zugehört, die Sätze August Geigers aufgeschrieben, Dialoge notiert. „Das Leben“, sagte der Vater , der sich leise, resignierend, aber bewusst gegen das Vergessen wehrte, „das Leben ist ohne Probleme auch nicht leichter.“

Der Schriftsteller fühlt sich durch die Krankheit des Vaters inspiriert. Er schreibt: „Was ihm einfiel, hatte eine Tiefe, bei der ich dachte: Warum fällt mir so etwas nicht ein. Ich wunderte mich, wie präzise er sich ausdrückte und wie er den richtigen Ton traf.“

Und er findet, dass Sätze seines Vaters auch ein Held von Franz Kafka gesagt haben könnte. „Ich dachte mir, da haben sich zwei gefunden, ein Demenzkranker und ein Schriftsteller.“

Sein Buch hat das richtige Maß: Es wird alles Wichtige gesagt, ohne ein Wort zu viel zu setzen. Das macht die Qualität dieser Lektüre aus. Im Juni erhält Arno Geiger für sein Werk den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Homburg. Sein Buch wurde jetzt für die „Shortlist“ der Leipziger Buchmesse nominiert.