Deutscher Buchpreis geht an Ursula Krechel
Frankfurt/Main (dpa) - Die Gewinnerin des Deutschen Buchpreises ist tief gerührt, wie sie gesteht. „Mir ist auch ein bisschen schwindlig“, sagt Ursula Krechel in ihrer Dankesrede und spannt gleich den Boden zur Hauptfigur ihres preisgekrönten Romans „Landgericht“.
So etwa müsse es auch Richard Kornitzer gegangen sein, als er 1947 wieder deutschen Boden betrat. In ihrem am Montagabend in Frankfurt ausgezeichneten Roman „Landgericht“ widmet sich die 64-jährige Krechel den Gründungsjahren der Bundesrepublik - und der großen Verdrängung. Die erlebt der jüdische Richter Kornitzer, der nach seiner Flucht aus Nazi-Deutschland wieder in seine Heimat zurückkehrt - er ist unerwünscht. Das Land will so schnell wie möglich in die Normalität zurückfinden. Kornitzer lehnt sich auf. Er verbeißt sich regelrecht in das ihm angetane Unrecht, kämpft um seine Ansprüche.
Mit Krechels Buch hat damit erneut ein Roman gewonnen, der sich mit der deutschen Geschichte beschäftigt. Vergangenes Jahr wurde Eugen Ruge für seine DDR-Familiensaga („In Zeiten des abnehmenden Lichts“) geehrt. Ähnlich wie Ruge, der seine persönliche Geschichte in seinem Roman verarbeitet hat, ist auch Krechels Roman eine Mischung aus Realität und Fiktion.
Die promovierte Germanistin und gelernte Journalistin, die bisher vor allem als Lyrikerin bekanntgeworden ist, hat lange über das Schicksal von in der Nazizeit vertriebenen Juden recherchiert. Dabei stieß sie auf die Personalakte eines Juristen, den sie zur Hauptperson ihres neuen Romans machte. Sie betrachte das Buch auch als „persönliche Wiedergutmachung“ an all die Nazi-Opfer, denen nach dem Krieg Unrecht geschehen sei, sagt sie in ihrer kämpferischen Dankesrede. „Das Trauma kennt keine Zeit, weder Vergangenheit noch Gegenwart.“
Ob Krechels Buch auf der Bestsellerliste genauso erfolgreich ist wie Eugen Ruge, muss sich noch zeigen. Sie hat einen kühl-analytischen Roman geschrieben, im Stile eines nüchternen Chronisten. Der Jury sei es nie um die Frage gegangen, ob der Siegerroman auch „populär“ sein werde, sagt deren Sprecher Andreas Isenschmid vor der Bekanntgabe der Gewinnerin. „Wir haben kontrovers diskutiert bis zur letzten Minute.“
Auch die meisten anderen der sechs Finalisten - Krechel war die einzige Frau darunter - haben sich auf sehr unterschiedliche Art mit deutscher Nachkriegsgeschichte auseinandergesetzt. Auf der Shortlist standen außerdem noch Wolfgang Herrndorf mit seinem Wüstenroman „Sand“, Ernst Augustin mit „Robinsons blaues Haus“, Clemens J. Setz mit „Indigo“, der Roman „Fliehkräfte“ von Stephan Thome und Ulf Erdmann Zieglers Buch „Nichts Weißes“.
Drei Roman davon stammten aus dem Hause Suhrkamp, der Verlag ging aber letztlich leer aus. Krechel hat ihr Buch im Salzburger Verlag Jung und Jung veröffentlicht. Das kleine österreichische Haus hat damit zum zweiten Mal den Deutschen Buchpreis eingeheimst. Dort erschien auch der Roman „Tauben fliegen auf“ der Schweizerin Melinda Nadj Abonji, die 2010 die renommierte Auszeichnung erhielt.
Der Preis für die beste literarische Neuerscheinung wird seit 2005 von der deutschen Buchbranche vergeben. Traditionell wird er am Vorabend der Frankfurter Buchmesse bekanntgegeben.