Die Mutter als Schmerzmacherin

Marlene Streeruwitz über die Suche eines ungewollten Kindes.

Düsseldorf. Die anderen Menschen um sie herum: „Die lebten geordnete Leben. Übersichtliche Leben. Sie war die Schmutzige. Immer war sie die Schmutzige gewesen. Mit einem ungenauen Leben.“

Als uneheliches Kind einer drogensüchtigen Mutter ist Amy Schreiber auf die Welt gekommen. Ihrer Großmutter wurde sie von den Behörden weggenommen. Gut so: „Das Mammerl war schon für ihre Mutter nichts gewesen.“

Ihren Platz im Leben sucht die Protagonistin des neuen Romans von Marlene Streeruwitz vergebens. Ihre Mutter ist die wahre „Schmerzmacherin“, so der Titel des Romans, ihres Lebens. Das BWL-Studium hat Amy abgebrochen, die lieben Pflegeeltern wieder einmal enttäuscht. Sie flieht in den Wodka und weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Sie weiß nur eins: „Dass sie es nicht wert war. Dass sie nichts wert war. Dass sie nichts. Dass es. Dass es sie nicht. Nicht geben sollte und dass es. Dass es.“

Da ist er, der typische Streeruwitz-Sound mit seinen Satz-Ellipsen und der Stakkato-Interpunktion, der die Hilflosigkeit der Hauptfigur sprachlich spiegelt. Amy sucht dringend nach Sicherheit. Es kann ihr gar nicht sicher genug sein: Sie heuert bei Allsecura an, einem privaten Sicherheitsdienst, der Kasernen in Afghanistan bewacht.

Sie lernt, wie man professionell Verhöre führt, will „die Möglichkeit haben, ihre Biographie kreativ nutzen zu können“. Es drängt sie, aus dem Makel der unbekannten Herkunft endlich Profit ziehen. Schadet es einer Agentin doch nicht, ohne Vergangenheit zu leben.

Langsam nur gibt die 61-jährige Schriftstellerin aus Österreich die Vita ihrer Protagonistin preis. Wie im Wachtraum folgt der Leser der Handlung und teilt so ihren Bewusstseinszustand. Der Stoff würde für einen Agententhriller taugen. Ein Mitarbeiter von Allsecura verschwindet in Afghanistan.

Ein Bettfreund Amys landet mit gebrochenen Kniescheiben im Krankenhaus. Amy hat eine Fehlgeburt, obwohl sie gar keinen Geschlechtsverkehr hatte. Oder doch? War ein Betäubungsmittel im Spiel? Der Wodka? Ist ihr Vorgesetzter der Vater?

Wie Streeruwitz ihre Geschichte aber erzählt, hat nichts von einem Krimi. Das ist große Literatur. Zurecht war ihr psychologisch fein motivierter Roman im Finale um den Deutschen Buchpreis nominiert.

Marlene Streeruwitz: „Die Schmerzmacherin“; S. Fischer, 400 Seiten, 19,95 Euro.