Dunkler Reisebericht aus dem Land der Mörder

Ein im besten Sinne amerikanischer Thriller aus Wuppertal.

Wuppertal. Vor dem geistigen Auge wird dieser Richard Krauss sofort lebendig: ein schöner Mann, blond, deutsch und skrupellos. Brad Pitt könnte ihn spielen, Leonardo DiCaprio, zur Not Daniel Craig. Die Verfilmung wäre ein sicherer Hit, ein Agenten-Thriller im Stil der Bourne-Trilogie, gradlinig, grimmig und grobkörnig.

Es ist schon erstaunlich, dass dieser im besten Sinne amerikanische Roman in Wuppertal entstanden ist. Der Autor und Journalist Jörg Isringhaus liebt die USA, ihre Mythen und ihr Kino, doch das liefert nur teilweise eine Erklärung. Denn der Stil, der sein Debüt auszeichnet, ist nicht aufgesetzt oder angelernt, sondern echt. Isringhaus schreibt, wie er journalistisch formuliert: präzise, unsentimental. Seine Sätze sind kurz, aber nicht banal, in ihrer Reduktion lassen sie an Hammett oder Chandler denken.

Das Thema des Buches allerdings ist so deutsch, wie es nur sein kann: Es spielt in den Wochen vor dem Angriff auf Polen, dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Isringhaus traut sich zu, Göring und Hitler als Figuren zu zeichnen, und er macht dabei vieles richtig. Die Nazi-Größen, die Europa in den Abgrund stürzen, werden bei ihm nicht zu Dämonen. Sie sind machtbesessen, verblendet, cholerisch, intrigant, im Fall Hitlers mit psychopathischen Zügen. Doch die perfiden Strategien, mit denen sie Regierungen und Menschen gegeneinander ausspielen, bleiben nachvollziehbar. Als Historiker weiß Isringhaus, wovon er spricht.

Schon während seines Studiums ist er auf einen seiner Protagonisten gestoßen, den beinahe vergessenen schwedischen Geschäftsmann Birger Dahlerus. Als Diplomat verhandelte der im Spätsommer 1939 abwechselnd mit Göring und der englischen Regierung, um einen Krieg in letzter Minute abzuwenden. Im Buch ist er ein unverbesserlicher Idealist, ein Gutmensch, der in eine zum Scheitern verurteilte Rettungsmission hineinschlittert. Im Bemühen, ihm und seinem verzweifelten Kampf um Frieden gerecht zu werden, verliert Isringhaus gelegentlich den Spannungsbogen aus den Augen: Wo Geschichte sich in schneller Folge wiederholte, tut es auch der Roman.

Die interessantere Figur ist fiktiv, jener Killer Richard Krauss, einst Mitglied der ebenfalls fiktiven Nazi-Organisation "Söhne Odins". Nachdem seine Kumpane seine große Liebe Hanna erschossen haben, läuft Krauss zu den Engländern über, nichts als blutige Rache im Sinn.

Bereits im starken Prolog seines Romans gibt Isringhaus diesem Jäger mit dem schwarzen Herz Gesicht und Geschichte, auch auf den folgenden knapp 400 Seiten lässt Krauss einen nicht mehr los. Für einen kaltblütigen Killer, der, mitunter drastisch geschildert, sein schmutziges Handwerk verrichtet, entwickelt er viele Facetten. Auch in ihm steckt ein Retter - doch wider Willen und ohne Hoffnung.

Dass Krauss, der mit Hanna auch jeden Lebensmut verloren glaubte, einer neuen Liebe zumindest als vage Chance begegnet, gibt diesem dunklen Reisebericht aus dem Land der Mörder gegen Ende viel ungeahnte Emotion. Zu großem Kino gehören eben auch große Gefühle.

Jörg Isringhaus: "Unter Mördern"; Aufbau Verlag, 388 Seiten, 19,95 Euro.