Elfriede Jelinek zürnt Österreich

Die Literatur-Nobelpreisträgerin rechnet im Internet ab.

Düsseldorf. "Es soll keiner über sich hinauswachsen, es soll alles unter uns bleiben, wir wollen nichts rauslassen, damit man nicht im Ausland über uns redet. Im Ausland bitte auf unser Wort hören, auf den Opernball und aufs Neujahrskonzert hören, alles hören!, ja, aber nicht auf unser Schreien! Das beachten Sie bitte gar nicht, wir beachten es ja schließlich auch nicht, und wir müssen es ja wissen."

Dies sind die letzten Zeilen, die ab Donnerstag jeder auf der Homepage der österreichischen Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek lesen kann. Dort hat die manisch Computerschreibende seit dem 1. Februar 1998 bereits 3000 sowie 750 Fotos hinterlassen, in den zehn Jahren seit Bestehen der Seite haben 569 049 Leser sie angeklickt und aufgesucht.

Im neuen Text "Im Verlassenen" - schon der Titel verweist auf das Verlies, auf das Alleingelassensein - erhält Österreich ordentlich Watschen. Denn das Ausland hat aus dem Fall Amstetten, schreibt sie ironisch, eine "Rufschädigung für Österreich" gemacht. Und: "Schon hört man die Rufe nicht mehr, die aus dem Keller hallten, es gab keine Ritzen und Spalten, die groß genug für Schreie gewesen wären, wenn sie versucht hätten, sich hinauszudrängen."

Und es gelingt ihr eine zornige, poetische Dichtung über den Vater, der seine Tochter missbrauchte und einsperrte, darüber, wie Österreich mit dem Fall umgeht oder eben ihn unter den Teppich kehrt, dorthin, wo schon so mancher Schmutz landete. Weiter nimmt sie das Wegschauen und das österreichische Harmoniebedürfnis auseinander.

Da erinnert sich Elfriede Jelinek an andere Zeiten: "Die Aufstände sind hier nicht sonderlich beliebt und meist wirkungsloser, da waren die Nazis 1938 schon beliebter, Anstand und Aufstand sind hier nicht sehr beliebt, außer es geht gegen Wehrlose, dann sind wir wieder stark."

Und sie zitiert den Bundeskanzler, der sagte, Österreich sei für die Gründung der SOS-Kinderdörfer bekannt, und Jelinek bekräftigt zynisch: "Nein, ein Kinderdorf war das Kellerverlies von Amstetten nicht, Kinderdörfer befinden sich woanders, sogar im Ausland, denn wir haben sie ja exportiert, zumindest die Idee."

Dieser "Großvater-Gottvater" mit seinen Allmachtsfantasien habe "ein Idyll errichtet, das er kunstlos dem weiblichen Körper nachgebaut hat" - auch das kann sie nicht verzeihen. Ein weibliches Idyll, fertig und gefertigt zum Missbrauch. swi