Buch Gabriele Henkel: Die Memoiren der „weißen Dame“

Die Kunstsammlerin, Mäzenin und Witwe von Konrad Henkel, Enkel des Konzerngründers, hat ihr Leben aufgeschrieben. Die Autobiografie ist ab Montag im Handel.

Gabriele Henkel mit ihrem Mann Konrad im Jahr 1996.

Foto: Achim_Scheidemann

Düsseldorf. Gabriele Henkel gibt sich in ihren „Erinnerungen“ so schön und perfekt geschminkt wie die „Weiße Dame“, die Werbe-Ikone der Waschmittelmarke Persil. Die letzte große deutsche Diva, die Grande Dame aus Düsseldorf, blickt auf dem Cover ihrer Autobiografie in weite Ferne, als liege die Zukunft vor ihr. Dass dies nicht der Fall ist, berichtet sie am Ende ihrer Memoiren: „Die Mobilität lässt nach, proportional zum zunehmenden Alter. Die meisten Menschen, die mir nahe standen, sind inzwischen verstorben. Sie fehlen mir. Ich bin oft einsam.“ Erstmals verrät sie sogar ihr Alter, bei dem sie früher häufig geflunkert hat. Sie wird im Dezember 86 Jahre alt.

Foto: Privatarchiv Henkel

„Die Zeit ist ein Augenblick“, wählt sie als Titel ihres Buchs, spricht vom „Puzzle“ ihres Lebens und das widmet sie ihrem Mann Konrad Henkel, in dessen Industriellen-Dynastie mit Persil, Pritt und Pril sie als 20-jährige Tochter eines Düsseldorfer Mediziners eingeheiratet hat. Sie berichtet von ihrer Kindheit im Krieg, als das kleine Mädchen Küken im Ofen trocknete, von der Jugend im zerstörten Düsseldorf, von den ersten Schritten als Journalistin. Vor allem aber berichtet sie von einem anderen, neuen Deutschland und seiner glamourösen Society, die sie großenteils prägte, indem sie im Mittelpunkt stand.

Foto: Privatarchiv Henkel

Es ist die Welt der Großen und Arrivierten mit Kaufhauskönig Helmut Horten, Star-Galerist Leo Castelli, dem stets rauchenden Kanzler Helmut Schmidt bis zu Hildegard Knef und Henry Kissinger. Sie lässt nichts aus, selbst die Hochzeit des Johannes von Thurn und Taxis mit seiner „zauberhaft exzentrischen Gloria“ nicht, bei der die „Creme de la Creme der Gesellschaft“ anwesend war, so „die Flicks, die Oetkers, die Rodenstocks“. Sie nennt es die „kostbaren Kieselsteine im Flussbett der Erinnerung.“

Foto: Privatarchiv Henkel

Gabriele Henkel in ihrem Buch „Die Zeit ist ein Augenblick: Erinnerungen“

Foto: Cover dva-Verlag

Man spürt in ihren stilsicheren Erzählungen, wie sie die Gesellschaft genoss, in ihr aufging. Sie wollte geliebt werden und wurde geliebt. So fertigte sie etwa eine köstliche Passage über ihre Begegnung mit dem Theaterregisseur Robert Wilson an: „Wenn Bob im Haus war und bis zum Morgengrauen Wodka aus großen Flaschen floss, erschien Konrad im Schlafrock und ermahnte uns, endlich zu Bett zu gehen. Viel genützt hat es nicht. Wie ein aufsässiges Kind bettelte Bob um ’five minutes more’, erzählte eine weitere Anekdote, und schon war ich wieder hellwach. Da hatten sich zwei Menschen gefunden. Freunde, vereint in liebevoller, zärtlicher Zuneigung.“

Dieser Konrad Henkel, „der Mann meines Lebens“, wie sie ihn nennt, war das Gegenteil seiner lebenslustigen besseren Hälfte. Im Jahr 1955 heirateten sie, 1999 trug sie ihn zu Grabe. Im Karneval hatten sie sich, er als Trapper verkleidet, kennengelernt. Im Sommer 1961, nach dem frühen Tod des älteren Bruders Jost, hängte er den Chemiker-Kittel an den Nagel, übernahm die Chefetage und führte den Familienbetrieb in die Weltspitze. Das „große Tamtam um seine Person“ habe er nicht gemocht. Aber es gab ihr die Gelegenheit zu unzähligen Gesellschafts-Ereignissen in ihren Salons.

Gern spielt sie ihre Mentalität gegen sein völlig uneitles Gebaren aus. Konrads Angewohnheit war es, gegen 23 Uhr, wenn der Ehrengast gegangen war, die Fenster aufzureißen und das Licht an- und abzuschalten. Seine Ehefrau kommentiert dies so: „Man musste diese Minuten einfach ignorieren, und schon ging die Nacht weiter. Meist blieb auch Konrad dann noch eine Weile. Der Anblick leicht verwüsteter Tische und niederbrennender Kerzen ist für mich der schönste Augenblick eines Abends.“

Offensichtlich endeten die Abende im „Chami 9“, ihrer Adresse an der Chamissostraße 9 in Düsseldorf, nicht immer geräuschlos. Jedenfalls erwähnt Gabriele Henkel gelegentlich „tumultöse“ Abende, wenn etwa zwei prominente Autoren dermaßen in Rage gerieten, dass sie die venezianischen Gläser voller Champagner an Gemälde flämischer Manieristen schleuderten. Trocken bemerkt sie dazu: „Zum Glück war Konrad schon zu Bett gegangen.“

Bislang war kaum bekannt, dass Konrad Henkel schon eine geschiedene Ehe mit drei Töchtern hinter sich hatte. Dementsprechend tobte Gabis Vater, der Herr Professor Theodor Hünermann, über den „Seifenfritzen“ als Schwiegersohn, der zu alt und auch noch evangelisch war. Aber auch die Familie Henkel war nicht beglückt von Konrads Wahl: viel zu jung, und dann auch noch katholisch.

Seit 1969 darf sie für den Henkel-Konzern Kunst ankaufen. Anfangs seien es pragmatische Gründe gewesen, gibt sie zu. Die kilometerlangen Flure, unzähligen Büros, Konferenzzimmer und Gemeinschaftsräume waren allesamt mit Pflanzen dekoriert. Pflanzen seien, so die Rechnung, anfangs teurer gewesen als Zeichnungen oder Gemälde junger Künstler. Außerdem war Kunst pflegeleicht, sie musste nicht ständig umgetopft und gegossen werden. Ob das für die Kostbarkeiten von US-Größen wie Frank Stella gilt, sei dahingestellt.

Die Auswahl geschah ohne Berater oder Kurator. In erfrischender Offenheit erklärt sie, wie sie vorging: „Das war wie in der Liebe, ich habe mich in die Bilder verliebt. Kunst musste mich ansprechen, nur dann wollte ich sie erwerben.“ So dachte schon Werner Schmalenbach beim Ankauf der Kunstsammlung NRW. Sie aber fügt den Ausspruch Picassos hinzu: „Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele“ und spielt damit auf die reinigende Wirkung der Kunst ausgerechnet in einem Waschmittel-Konzern an.

Ihr Mann interessierte sich eher für Drogerien und Supermärkte. Er habe Zahnpasta, Seifen, Klebstoff und Reinigungsmittel gekauft. Er habe den amerikanischen Markt neugierig studiert, um Nischen für Henkel-Produkte zu entdecken, erzählt sie. Er habe bei Werken von Stella, bei Zeichnungen von Matisse und Picasso stets genickt, aber ansonsten die Stirn gerunzelt. „Konrad verfolgte meine Liebe zur bildenden Kunst stets mit Neugier, aber auch mit Skepsis“, behauptet sie.

Aber auch der Tod spielt in ihren Memoiren eine Rolle. So starb am Vorabend des hundertsten Firmenjubiläums Konrads geliebte Tochter Andrea aus erster Ehe an Leukämie. Und Konrad zog die Feier durch, getreu der Maxime seines Großvaters Fritz Henkel: „Firma geht vor Familie.“

Zuweilen waren Beerdigungsfeiern aber auch mit einem Medienrummel wie bei der Trauerfeier für den Pop-Star Andy Warhol verbunden. Nachdem Gabriele Henkel die Trauergesellschaft genau beschrieben hatte, kommt eine ihrer typischen Sentenzen: „Die Trauergemeinde löste sich auf, und im kleinen Kreis — immerhin vierhundert Freunde — machten wir uns auf zur Party im Diamond Horseshow, dem legendären Nachtclub im Paramount Hotel. Da wurde getanzt, da wurde das Leben gefeiert wie immer, nur schade, dass Andy nicht mehr dabei sein konnte.“

Großen Raum nehmen Anekdoten ein, wenn sie über ihren Vater spricht, der Joseph Beuys als Patienten hatte und in ihm „nichts anderes als Nebenhöhlen sah“.

Rudolf Augstein habe nicht viel Alkohol vertragen und sei schon nach einem Glas betrunken gewesen. Sie selbst zeigt sich hingegen auf ihrem letzten Foto im Buch als einsame Bootsfahrerin am Steuer. In ihren opulenten Inszenierungen, mit denen sie ihre Soirée begleitete, hatte sie mehr Publikum.