Grass’ Buch ist unübersetzbar
Der Nobelpreisträger im Gespräch mit Übersetzern aus sechs Ländern.
Straelen/Kreis Kleve. Günter Grass hatte es schon beim Schreiben vermutet: „Dieser Roman ist unübersetzbar.“ Im vergangenen Jahr erschien „Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung“. Das Werk basiert auf dem 32-bändigen Wörterbuch der Brüder Grimm, die Liebeserklärung gilt der deutschen Sprache. Jedes Kapitel ist einem Buchstaben gewidmet — ein Albtraum für Übersetzer.
Gestern im niederrheinischen Straelen besprachen einige von Grass’ Übersetzern ihre Annäherung an seinen Text mit dem Meister persönlich. So handhabt Grass es bereits seit 30 Jahren: Er liebt es, tage- und nächtelang mit seinen Übersetzern zu diskutieren. Im Straelener Übersetzungskollegium waren Spanien und Katalonien vertreten, Finnland und Lettland, Bulgarien, Dänemark und die Niederlande.
Dabei stellte sich schnell heraus, dass eine Übertragung des Textes nur durch sprachliche Nähe zum Deutschen überhaupt möglich wird. Denn wie soll ein Kapitel zum Buchstaben Z in eine Sprache wie Finnisch übertragen werden, die kaum Wörter mit Z besitzt? Und wie in Sprachen mit kyrillischen Buchstaben?
Im Atrium des Übersetzerkollegiums saßen die klugen Frauen und Männer einander an einem U-förmigen Tisch gegenüber. Der Nobelpreisträger, braun gebrannt aus Portugal angereist, stopfte sich als erstes eine Pfeife.
Dann diskutierte die Runde die Ergebnisse der Übersetzer-Arbeit. Am dichtesten ans Original kommen der niederländische Kollege Jan Gielkens und der Däne Per Ohrgaard. Die Sprachen sind verwandt und lassen eine Übertragung zu. Aber auch hier tauchen Fragen auf: Was macht der dänische Übersetzer im B-Kapitel mit „Besen“, wenn das Wort in seiner Sprache mit „K“ anfängt? Er nimmt „buketter af birkeris“ und weiß selber, dass Hexen eben nicht auf Birkenreisig um den Blocksberg fliegen.
Beide Übersetzer verwenden auch viele Wörter aus dem Original in ihren Übertragungen: „Zettelkram“ verweist auf die Sammelmethode der Brüder Grimm und wird auch in Holland oder Dänemark irgendwie verstanden. Dennoch sind beide noch nicht endgültig entschlossen, ob sie das Buch überhaupt übersetzen. Sie wollen sich erst noch einige Zeit intensiver mit den Möglichkeiten und Schwierigkeiten befassen.
Der Autor sprach sich für eine weitergehende Methode aus: „Der Roman ist im herkömmlichen Sinne nicht zu übersetzen. Aber ich möchte Ihnen Mut machen, sich den Stoff auf eine andere Weise anzueignen, ihn neu auszuloten, vielleicht als Autoren in den Vordergrund zu treten.“ Nicht alle mochten den Vorschlag annehmen, da sie die Schwierigkeiten für unüberwindbar halten. „Eine Übersetzung ins Spanische ist möglich“, sagt Grita Loebsack. „Aber der Sinn geht verloren“. Eine eigene Autorenschaft betrachtet sie mit Skepsis: „Wir sollen Grass spielen?“
Und so mag man es mit dem bulgarischen Übersetzer Ljubomir Iliev halten: „Ich empfehle allen Deutschkundigen die Lektüre im Original.“ Der Rest muss offenbar draußen bleiben.