Sven Regener und das Lenor-Gewissen

Berlin (dpa) - Hamburg-Heiner wäre jetzt streng. Sven Regener hat einen „Laberflash“, würde ihm sein literarisches Gewissen sagen. Der Berliner Musiker und Schriftsteller, unschwer an der dicken Hornbrille zu erkennen, sitzt bei Tee mit Marmelade in einem Café im Prenzlauer Berg und plaudert.

Sein neues Buch ist fertig: „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner“. Es erscheint am 14. März. Anders als bei der „Herr Lehmann“-Trilogie ist es kein Roman, sondern versammelt Regeners „Logbücher“ aus dem Internet. Es geht, garniert mit Seemannsgarn, um seine Band, die Buchmesse oder seine Touren. Man könnte auch sagen: Es sind Blogs.

Aber das Wort ist für einen Wortfex wie Regener zu schnöde und würde sich auch nicht so gut verkaufen. Logbücher führen Kapitäne auf ihrer Reise, ähnlich macht es der Bremer. „Das heißt noch lange nicht, das alles genauso war“, sagt Regener, der auch nach Jahrzehnten in Berlin schwerst nach Hanseat klingt.

Angefangen hat der 50-Jährige vor sechs Jahren mit einem Blog als Werbung für ein neues Album seiner Band Element of Crime. Die Internet-Kolumnen wollte er eher beiläufig angehen. „Trotzdem ist mir nach zwei Tagen die Luft ausgegangen. Deswegen habe ich Hamburg-Heiner ins Spiel gebracht. Ich dachte, wenn die Luft dünn wird, kann man ihn anrufen lassen.“

Hamburg-Heiner, das passt zu Regener, dessen Großmütter wegen ihrer Wohnorte „Oma Horst“ (wegen Delmenhorst) und „Oma Findorff“ hießen. Die Figur ist das Über-Ich und ähnlich wachsam wie das „Lenor-Gewissen“ aus der alten Weichspüler-Reklame. Regener liefert sich mit „HH“ wunderbar beiläufige Dialoge. Etwa, wenn es um die Dominanz der Nordmann-Tanne im Weihnachtsbaumsortiment geht und Hamburg-Heiner feststellt: „Fichte laß ich gelten, aber die Kiefern werden alle von Ikea gebraucht. Und die Blautanne ist ja praktisch die Margot Honecker unter den Nadelbäumen, die willst du ja nicht wirklich?“

Das „ß“ kultiviert Regener, es sei „irgendwie wie die Glühbirne, fast schon weg, aber nicht richtig“. Was ihn sonst beschäftigt: Trompete-Üben, Sponge-Bob-Gucken, Döneressen, Interviews geben, Städte-Steckbriefe, Rot-Kreuz-Mitgliedschaften und Busfahrer Udo. Der pflegte vor dem Toilettengang zu sagen, er besuche jetzt die Villeroy-und-Boch-Ausstellung oder beschreibt die MAN-Schwebebahn in Wuppertal mit „Murks aus Nürnberg“.

Als Buch verpackt, haben die Kolumnen tatsächlich einen Reiz und lesen sich flott weg. Nabelschau und Privates? Fehlanzeige. Weder über sich noch über die Band gibt Regener ernsthaft etwas preis. „Man möchte ja nicht wirklich die Leute an die Öffentlichkeit zerren.“ Die Kommentare zu seinen Blogs ignoriert er. Twitter und Facebook nutzt Regener nicht. Interaktive Kommunikation hält er für eine Behauptung: „Mitmachtheater, das will doch auch keiner. Sollen die Leute mit mir ein Buch schreiben oder bei Element of Crime mitspielen? So einen Künstler will doch auch keiner haben, der sich von den Leuten dann wirklich auf diese Weise beeinflussen lässt.“

Die Blogs landen oft auf der Meta-Ebene, sie erinnern mit den schrulligen Bildern und leisem Witz an die Kolumnen von Max Goldt. Als Regener 2008 von seiner Zugfahrt zur Frankfurter Buchmesse postet, pfeift ihn Hamburg-Heiner eine Seite später zurück: „Kolumnisten, Blogger und andere Halbbegabungen haben striktes Verbot, über Zugfahrten, die Deutsche Bahn, H. Mehdorn oder auch nur die Architektur deutscher Bahnhöfe, insbesondere des Berliner Hauptbahnhofs zu schreiben.“

Ob Hamburg-Heiner wohl so aussieht wie Karl alias Detlev Buck im Kinofilm „Herr Lehmann“? Regener kann sich jedenfalls vorstellen, dass aus der Kolumnen-Figur mal ein Romanheld wird. Jetzt steht aber erstmal die Buch-Promo an: Die Lesereise beginnt am 18. März in Leipzig. Und Regeners drittes Buch, „Der kleine Bruder“, soll von Leander Haußmann verfilmt werden. Wer nach Christian Ulmen und Frederick Lau diesmal Frank Lehmann spielen wird, ist noch offen.