Haruki Murakami: Schreiben für das „Netzwerk der Seelen“
Haruki Murakami zählt zu den bekanntesten Autoren Japans und genießt vor allem im Westen Kultstatus. Morgen wird er 65.
Tokio. Man stelle sich ein Wohnhaus mit einem Keller vor, erzählt Haruki Murakami. Im Erdgeschoss und ersten Stock wohnten die Menschen, während im Keller darunter die Reste ihrer Erinnerungen lägen. Unter dem Keller aber befinde sich eine finstere, bodenlose Welt.
Er habe einen Gang dorthin gefunden und fange Geschichten aus der Tiefe ein und mache daraus Romane. So beschrieb der japanische Literaturstar, der morgen 65 Jahre alt wird, im Mai 2013 an der Universität Kyoto bei einem seiner seltenen öffentlichen Auftritte seine Arbeit als Autor. Durch das Schreiben solcher Geschichten wolle er ein „Netzwerk der Seelen“ schaffen.
Es sind einzigartige Welten, die der japanische Erfolgsautor in diesen Geschichten erschafft. Welten voller übernatürlicher Ereignisse und innerer Abgründe, stoischer wie auch merkwürdiger Charaktere. „Ich freue mich mehr, wenn ein Leser mir sagt, er konnte nicht aufhören zu lachen, als dass er mir sagt, mein Buch habe ihn zu Tränen gerührt“, erzählte Murakami in Kyoto. Während Trauer etwas Persönliches sei, öffne das Lachen die Herzen der Menschen. „Daher versuche ich, Humor in meine Werke zu streuen“, so der Japaner.
Murakami gilt als einer der populärsten und einflussreichsten japanischen Autoren seiner Generation und wird seit Jahren immer wieder als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt. Doch der im Westen zur Kultfigur avancierte Autor und erfolgreiche Übersetzer amerikanischer Literatur setzt sich auch außerhalb der Literatur immer mehr mit der Gegenwart seiner eigenen Heimat auseinander.
So beeindruckte er zum Beispiel anlässlich einer Preisverleihung in Spanien viele mit einer Rede zur Atomkatastrophe in Fukushima, in der er sich mit deutlichen Worten gegen die Atomenergie aussprach.
Zu seinen zahlreichen Werken, die in mehr als 40 Sprachen übersetzt und zum Teil als Filme oder Bühnenstücke adaptiert wurden, gehören die Romane „Wilde Schafsjagd“, für den er den Noma Literary Prize für Nachwuchsautoren gewann, und „Mr. Aufziehvogel“, in dem er einen Individualisten und Grübler auf der Suche nach Verlorenem und der eigenen Identität porträtierte. Zu seinen jüngsten Erfolgen zählt seine Trilogie „1Q84“ von 2009, sein erster Roman seit fünf Jahren.
Auch sein im April vergangenen Jahres erschienenes Werk „Shikisaki wo Motani Tazaki Tsukuru to, Kare no Junrei no Toshi“ (zu Deutsch etwa: „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“) wurde prompt zum Bestseller, für den die Fans die Nacht über anstanden. Seinen Erfolg in Europa und Amerika erklären sich Experten unter anderem mit der westlichen Orientierung Murakamis. Für die traditionelle japanische Literaturszene ist sein Stil jedoch eine Herausforderung.
Angeblich steht der 65-Jährige schon um vier Uhr morgens auf und schreibt dann bis zum Mittag. Danach treibt er Sport. Der Baseball-Fan ist begeisterter Marathonläufer. Bei seinem Auftritt an der Universität Kyoto im Mai 2013 sagte er Japaner, er wolle noch bis 85 Marathons laufen — über die gesamte Strecke.