Heinz Strunk: „Ein Mann - was soll das sein?“

Hamburg (dpa) - Heinz Strunk empfängt in seiner verwinkelten Dachwohnung im Hamburger Hafenstadtteil Altona. Der Blick durch die Fenster geht auf die Elbe, in der Nähe befindet sich auch die Kiez-Kneipe „Zum Goldenen Handschuh“, in der Strunk Stammgast ist.

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Drinnen, im kleinen Wohn- und Arbeitsraum mit braunem Ledersofa, stehen Bukowski, Böll und „Fasten, aber richtig“ im Regal. Daneben lagern Hanteln.

Ja, die Nominierung seines Romans „Der goldene Handschuh“ (Rowohlt-Verlag) über den Frauenmörder Honka für den Preis der Leipziger Buchmesse überrasche ihn schon, sagt der 53-jährige Musiker, Entertainer, Darsteller, Bestsellerautor („Fleisch ist mein Gemüse“) und melancholische Humorist im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Er habe geglaubt, für so etwas nicht den richtigen Stallgeruch zu haben.

Frage: Herr Strunk - warum ausgerechnet Honka?

Antwort: Das hat sich fast zufällig so ergeben. Das Entrée war der „Goldene Handschuh“. Ich bin dort seit Jahren ganz privat Stammgast. Gleich zu Anfang war ich mit dem Chef ins Gespräch gekommen und fand dieses Soziotop irre interessant. Auch wenn es dort bei weitem nicht mehr so hart zugeht, wie ich es im Roman beschrieben habe. In den 70ern war die Gegend, der sogenannte 'Hamburger Berg', noch einmal etwas ganz anderes. Viel kaputter, da hing der Krieg noch so rein. Da hat sich kein Jugendlicher hin verirrt. Bis heute nennt sich das Lokal 'Honka-Stuben'. Ich war auf der Suche nach einem Stoff fern des Autobiografischen - und schnell von der Geschichte gebannt.

Frage: Was genau hat Sie derart berührt?

Antwort: Mehr als Honka kann ein Mensch ja gar nicht einstecken. In seinem ganzen Leben hatte es nur einen lichten Moment gegeben - nämlich als er einmal in der Lüneburger Heide von einem Bauern gut behandelt wurde. Honka beschrieb das als Himmel auf Erden, an den er immer wieder zurückdenke. Er konnte gar nicht begreifen, dass überhaupt jemand mal gut zu ihm war. Das fand ich schon sehr berührend. Und in so eine Familie hineingeboren zu werden, der Vater Alkoholiker und so weiter - das ist ja schon eine schlechte Voraussetzung. Und dann war Honka noch ein Riesenpechvogel. Er kam nach Hamburg und wurde gleich nach einer Woche zusammengeschlagen. Davon blieb er für immer auch körperlich deformiert. Insofern finde ich Honka zwar extrem unsympathisch, könnte mit ihm nichts anfangen, wenn ich ihn heute im „Handschuh“ treffen würde. Aber Mitgefühl kann man ja trotzdem haben.

Frage: Wie haben Sie sich das Thema anverwandelt?

Antwort: Bei Honka habe ich die Möglichkeit gesehen, mich sinnlich einzufühlen. Bei den Frauen, mit denen er oft erst ganz normal zusammengelebt hatte, habe ich mir immer meine Omas vorgestellt. Die haben den Krieg mitgemacht und hätten vielleicht auch anders enden können. Dann hatte ich das Glück, dass ich im Staatsarchiv die unter Verschluss gehaltenen Prozessakten einsehen durfte - immerhin 18 Stück. Der Beginn meines Buchs etwa mit dem Fund der Leiche von Gertraud Bräuer ist dem Archiv mehr oder weniger direkt entnommen. Der „Soldaten-Norbert“ genannte SS-Mann, der später in die Fremdenlegion gekommen ist, ist zwar eine fiktive Figur, doch von solchen Leuten habe ich in Gesprächen erfahren. Und für die Verhältnisse der feinen Reederfamilie hatte ich einen Informanten.

Frage: Welche Bedeutung könnte Honkas Geschichte für uns heute haben?

Antwort: Dazu kann ich gar nichts sagen. Soziale Relevanz, Botschaft und so was interessiert mich nicht. Die Geschichte war metaphorisch gesprochen fertig in der 'cloud' (Wolke), und ich habe sie einfach aufgeschrieben. Schon Reich-Ranicki hat gesagt, man soll schreiben, was man will - und alles Weitere den Kritikern überlassen. Außerdem gibt es Themen, die sind einfach universell - erfolglose sexuelle Anbahnungsversuche etwa. Die haben keineswegs damit zu tun, dass Honka arm war und zur Unterschicht zählte. Auch Reedersöhne haben starke Triebe.

Frage: Sie drücken sich in so vielen künstlerischen Medien aus. Wie kommt das zustande?

Antwort: Das kommt zustande, weil ich es kann. Ich würde mich sonst um meine Möglichkeiten bringen. Eigentlich bin ich ja Musiker, und das möchte ich auch mein Leben lang betreiben. Im Honka-Buch kommt ja immer wieder das Lied „Es geht eine Träne auf Reisen“ vor. Ich werde das Lied einüben und bei meinen Lesungen auf der Flöte vortragen. Darüber freuen sich dann meine Besucher. Im Übrigen habe ich auch deshalb fünf künstlerische Standbeine, weil das wirtschaftlich notwendig ist. Sind zwei Standbeine mal nicht so gefragt, habe ich immer noch drei. Aber künstlerisch an irgendetwas angepasst habe ich mich niemals.

Frage: Oft haben Sie sich dabei an Ihrer eher unglücklichen Jugend abgearbeitet. Fühlen Sie sich heute als erwachsener Mensch?

Antwort: Das sind so Psychologisierungen, die mögen zutreffen, aber ich beschäftige mich nicht damit. Wer hat nicht das Gefühl, in seiner Jugend ein paar Jahre zu kurz gekommen zu sein? Tatsächlich betrachte ich aber Gleichaltrige oft als Angehörige einer älteren Generation. Wenn ich so klassische Versicherungstypen zwischen 30 und 40 anschaue, die ein ganz ernstes, diszipliniertes, erwachsenes Leben führen, dann habe ich damit exakt nichts zu tun. Bis in meine Dreißiger und darüber hinaus habe ich mich immer noch als Junge gefühlt. Ich habe gedacht, ein Mann - was soll das sein? Doch wenn es darum geht, Verantwortung für sich, sein Leben und andere zu übernehmen - dann würde ich mittlerweile sagen, ich bin soweit.

ZUR PERSON: Heinz Strunk ist Autor, Moderator, Comedian, Musiker. 1962 wurde er in Hamburg geboren. Die Erinnerungen an seine Jugend verarbeitete er in „Fleisch ist mein Gemüse“ - sein erstes Buch, das sich bislang nicht nur fast eine halbe Million Mal verkaufte, sondern auch die Vorlage eines preisgekrönten Hörspiels, eines Theaterstücks und eines Kinofilms wurde. Am 1. März startet Heinz Strunk seine Lesereise in Hmaburg.